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Guten Tag, Herr Hauptsektionschef!

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Die seit dem Abgang Olahs tot-geglaubte „Reorganisation der Exekutive“ hat wieder ein Lebensseichen gegeben!

Bei näherem Hinblicken gewinnt man den Eindruck, daß nun der „Olah-Plan“ mit neuen Akteuren und von neuen Handfesten ausgehend realisiert werden soll. Oder wie sonst soll man die Meldungen aus dem Innenministerium verstehen?

Es sollen an der Führungsspitze in der Herrengasse neue Dienstposten und neue Dienststellen geschaffen werden. Daß der Gendarmerie künftighin drei Generäle vorstehen sollen, ist ein Novum, das man aber — gemessen an den vielen Beamten in Generalsrang bei der Polizei — zur Not noch hinnehmen kann. Aber was soll die Schaffung von „Zwischensektionen“ in der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit?

Hält man die Einschaltung einer neuen Zwischeninstanz in den ohnehin schwerfälligen Behördenapparat wirklich für eine „reorganisatorische“ Notwendigkeit?

Wenn ja, dann müßte doch zumindest ein wirkliches fachliches Organisationstalent oder besser noch ein fachliches Organisationsgenie zur Verfügung stehen, dem hier ein Betätigungsfeld im Interesse der Allgemeinheit und vor allem der öffentlichen Sicherheit geöffnet werden

soll. Aber wo ist dieses Talent oder Genie? Und selbst dieses könnte diese Aufgabe nicht nebenbei — wie schon anderswo seit Jahren mit umstrittenem Erfolg geübt — aus dem Handgelenk heraus bewältigen, sondern müßte sich ihr ausschließlich widmen.

Man wird kaum erwarten können, daß ein ernstzunehmender Kenner der Lage auf dem Gebiete der Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit eine ob ihrer bewußt zur Schau getragenen Jovialität und oft gezeigten photogenen Erscheinung zweifellos populären Persönlichkeit — deren Verdienste auf den ihr gemäßen Gebieten nicht bestritten werden sollen — für diese Aufgabe als das Nonplusultra ansehen wird.

Auf welch hervorragende Weise wurde der ordnungspolizeiliche Einsatz im Falle Borodajkewicz gemeistert? Bitter, zu sagen, es gab nur einen Toten. Wenn es vielleicht auch als Verkettung unglückseliger Umstände gedeutet werden könnte, die das Leben eines Mitbürgers gekostet hat, so ist doch die Meinung in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit nicht vereinzelt, daß sich diese Umstände bei gekonntem Eingreifen der Führung hätten vermeiden lassen. Da nun nicht anzunehmen ist, daß man um die Wahrung der Popularität besorgt war, müssen die Gründe eben anderswo liegen.

Die aus dem Innenministerium verlautete Konstruktion der Führungsspitze der Exekutive ist doch eher eine Zurückorganisation denn eine Neuorganisation. Man ist fast versucht, mit Ben Akiba auszurufen: „Alles schon dagewesen!“ Erinnert man sich an die Schoberschen Reformpläne, so kann man kaum behaupten, daß das, was man hier zu reorganisieren vorhat, neu oder originell ist.

Unter dem Eindruck der Wirren vom Juli 1927 entwickelte der damalige Polizeipräsident von Wien, Dr. Schober, der als Polizeifachmann unbestritten Weltruf genoß, Pläne, die darauf abzielten, die Sicherheitsexekutive — also Polizei und Gen-

darmerie — in einer Hand zu vereinigen; er war Generalinspizierender für Polizei und Gendarmerie. Schober sprach der Schaffung von Polizeidirektionen in den einzelnen Bundesländern das Wort, trug sich mit der Ahsicht, die Gendarmerie funktionsmäßig der Sicherheitswache gleichzustellen, das heißt, der Polizei einzuverleiben, und wollte mit der Einrichtung von Polizei-kommissariaten am Sitz der Bezirkshauptmannschaften die Sicherheitsexekutive zentralistisch und vor allem souverän führen.

Soviel über den Schober-Plan. Es ist uns heute verständlich, daß Schober diese Machtballung anstrebte; er war nicht nur Polizeifachmann, er war auch ein profilierter Politiker des Großdeutschtums, das damals aus seinem Führungsanspruch kein Geheimnis machte.

Es mutet jedenfalls merkwürdig an, daß gerade die österreichische „Linke“ so offensichtlich an das Gedankengut des „reaktionären“ Schober anknüpft. Dazu kommt noch — und das erscheint sehr wesentlich —, daß die heutigen Zeiten und Personen von jenen der späten zwanziger Jahre durchaus verschieden sind. Warum wärmt man etwas als große Reorganisation auf, was in Zeiten ohne Erfolg geblieben ist, da ein noch eingewurzeltes obrigkeitsstaatliches Denken einen ungleich günstigeren Hintergrund abgegeben hat als es das heutige, wenn auch noch immer nicht voll ausgebildete, sozialkritische Denken tut.

Doch vielleicht sollte man auch wieder nicht zuviel hinter all dem vermuten. Möglich, daß die ganze Organisiererei wirklich nur den Zweck hat, c“e Maßgebenden davon zu überzeugen, daß eine X. Dienst-klasse (vielleicht Obersektionschef oder ' Hauptsektionschef) wegen der Altersschichtung im Beamtenschema unvermeidlich geworden ist. Auch gibt es noch andere Erklärungen: Ganz gewiegte Kenner der vielschichtigen Personalpolitik der linken Reichshälfte sehen in dieser auf eine bestimmte Person zugeschnittenen Maßnahm eine Wieder-

gutmachung für die nervliche Belastung und die Prestigeeinbuße aus der Ära Olah sowie den betonierten Aufbau eines wirklichen „Fachministers“. Man wird also abwarten und aufmerksam beobachten müssen, wie sich die Dinge weiterhin entwickeln. Auf keinen Fall ist es schlau, der Meinung anzuhängen, daß die beabsichtigte Umkonstruk-tion der Führungsspitze zur Konsolidierung der Sicherheitsexekutive beitragen wird. In der Polizei und in der Gendarmerie geht es um andere Dinge, um Dinge, die viel komplexer sind, als daß sie mit einer oder einigen billigen Personalmaßnahmen gelöst werden können. Daran ändert beispielsweise auch keine fraktionelle Loyalitätser-klärung der Gewerkschaft etwas.

Was dem Oberen recht ist, muß dem Unteren billig sein. Hat man sich auf der obersten Stufe des Apparates durch die Schaffung von „Zwischensektionen“ ein Ziel gesetzt, so hat man auch auf die unterste Stufe nicht vergessen. So gesehen werden die „Polizei- und Gendarmerielehrbuben“ zum Pendant. Sie sollen nun — vielleicht ist es eine Konzession an den geistigen Erfinder — verwirklicht werden.

Aber wie, das ist hier die Frage. In Kadettenschulen geht das nicht, das wäre zu „traditionsverbunden“. Was Post und Bahn können, das können wir auch! So ungefähr scheint der Gedanke an die Exekutivlehrlinge verfolgt zu werden. Nun, so einfach liegen die Dinge nicht, mögen auch die gegenwärtigen Verhältnisse dafür sprechen.

Man darf nicht vergessen, daß diese Exefcutivlehrlinge infolge der Eigenart des Polizei- und Gendarmeriedienstes wenig manuelle und mechanische Fertigkeiten erlernen können, wozu aber eine Lehrzeit hauptsächlich dient. Die Grundlagen, die ein Exekutivbeamter auch in einem demokratischen Staat beherrschen muß, um seinen Dienst wirklich so versehen zu können, daß er die staatliche Autorität glaubhaft vertritt, können kaum in einer Lehrlingsausbildung erworben werden. Hier handelt es sich in erster Linie um die Bildung der Persönlichkeit, die erfahrungsgemäß erst dann einsetzen kann, wenn der junge Mann eine Vorstellung von dem hat, was er will und was ihn erwartet, und nicht das Ganze als „Hetz“, als ein verlängertes „Räuber-und-Gendarm-Spiel“ auffaßt.

Die beiden Exekutivkörper — Polizei und Gendarmerie — verfügen zur Zeit gerade noch über die notwendigen fachlich geeigneten

Lehrer und Ausbilder. Auch hier macht sich nämlich der Personalmangel in Form eines Absanken des Niveaus bemerkbar. Wo aber sind die für die Exekutivlehrlinge erforderlichen „Exekutivpädagogen neuen Stils“? Der Vergleich mit der Meisterlehre scheint jedenfalls fehl am Platz, weil diese von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht und ganz andere Ziele hat. Dia „normale“ Lehre vermittelt doch, wie bereits früher erwähnt, in erster Linie handwerkliches Können; die geistige Fortbildung ist nur ein Anhängsel dazu und für die Charakterbildung — im Exekutivdienst ein Grundvoraussetzung — wird so gut wie nichts getan.

Zweifellos müßten diese „Exekutivlehrlinge“ in Lehrlingsschulen oder Lehrlingsheimen zusammengefaßt und unter regelrechter pädagogischer Aufsicht gehalten werden. Damit nicht alle Mühe umsonst war und sie zu guter Letzt der Exekutive nicht doch noch auf dem Umweg über das schöne Soldatenleben verlorengehen, müßte ihre Freistellung vom Wehrdienst erreicht werden. Etwa mit dem 17. oder 18. Lebensjahr sollte die wirkliche Ausbildung für den Exekutivdienst in den erwähnten Schulen oder Heimen beginnen. Anschließend sollten die Schüler in geschlossenen Einheiten beisammengehalten und turnusmäßig in den praktischen Dienst eingeführt werden. Ihre selbständige Verwendung im Exekutiveaußendienst dürfte erst nach dem Erreichen einer bestimmten Lebensreife — etwa mit 22 oder 23 Jahren — erfolgen.

In dieser oder ähnlicher Form könnte man sich vielleicht mit dem Gedanken an das Experiment mit den Exekutivlehrlingen vertraut machen. Aber bisher waren keinerlei konstruktive Pläne, konkrete Ausführungen oder auch nur Andeutungen zu erfahren, wie man sich die Verwirklichung dieser Idee vorstellt, so daß der Eindruck entstehen muß, als fehle zur Zeit noch ein brauchbares Konzept. Daher bleibt auch hier nur übrig abzuwarten. Feststeht jedenfalls, daß das Haben einer Idee zuwenig ist, um reorganisieren zu können.

Aus dieser Sicht darf man es dem aufmerksamen Beobachter nicht übel nehmen, wenn er die bekanntgewordenen neuerlichen Reorganisationsabsichten — sprich politische Ausrichtung — eher skeptisch beurteilt. Es ist aus der Erfahrung zur Genüge bekannt, wie schwierig es ist, die Kluft zwischen Idee, Theorie und Praxis, zwischen Wollen und Könnnen zu überwinden.

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