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Olympia - Schule des Fairplay

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DIEFURCHE: Was ist an der sogenannten Olympischen Idee, die oft als Pseu-doreligion, als fragwürdiger Körperkult kritisiert wird, so faszinierend? Leo Wallner: Es ist für mich natürlich keine Ersatzreligion in dem Sinn, weil für mich Religion etwas anderes bedeutet als Sport. Aber, es ist ein ethisches Moment und hat als solches eine wichtige Vorbildfunktion. Und je mehr heute die Institutionen, aus welchen Gründen auch immer, die Vorbildfunktionen für die Jugend verlieren, müssen's andere mitübernehmen. Und wenn's der Sport mitübernimmt, hat das natürlich eine wichtige Substitutionsaufgabe. Sport ist einmal von Natur aus - weil mit Körper-Ertüchtigung und Bewegung verbunden - ein Gegner von Drogen, die ja den Körper ruinieren, in welcher Form auch immer.

Das zweite ist, daß der Sport sicher dazu hilft, den Menschen in die Gesellschaft stärker einzubinden, sollte er dies von der Familienseite her vielleicht nicht werden - in der Anerkennung von Fairplay, in der Anerkennung von Reglement, in der Anerkennung des Gegners als Mensch mit freundschaftlichem Händedruck vor- und nachher. Unfairneß in einer extremen Form wird in sehr augenscheinlicher Form sofort bestraft.

DIEFURCHE: Das Doping dürfte aber mehr verbreitet sein, als man anhand beweisbarer Fälle wirklich erfährt Ist das nicht ein großes Problem? W allner; Ohne Zweifel, aber das heißt nur, daß die Bemühungen, das zu reduzieren oder zu minimieren, sehr wichtig sind. Die Ausnahmen bestätigen die Regel. Hier ist ein Erziehungspotential, wo man zumindest nach außen hin - mit der Vereidigung, mit allem Drum und Dran zur Einhaltung von Reglement und Fairplay angehalten ist. Das andere sind Auswüchse, die verurteilt werden, die unter der Decke gemacht werden müssen, die geahndet und bestraft werden und auch in der Öffentlichkeit bis zu einem gewissen Grad geächtet sind.

DIEFURCHE: es gibt aber Leute, die sagen, es wäre ehrlicher, Doping zuzulassen, als die jetzige Scheinlösung, bei der dann viele durchrutschen. Wallner: So viele rutschen nicht durch, es ist schon viel engmaschiger, viel strenger geworden, und es ist kein großes Politikum mehr. Früher war das eine staatspolitische Sache. Man hat ja gewußt, würde man ganz strenge Doping-Kontrollen machen, könnten vielleicht die Oststaaten überhaupt nicht teilnehmen. Das hat sich geändert. In den meisten demokratischen Staaten ist es kaum denkbar, daß organisiert Doping in einem derartigen Ausmaß betrieben wird.

Ich glaube, da sind weite Schritte in den letzten zwei, drei Jahren gemacht worden, da ist relativ viel geschehen durch das Aufbrechen des Ostens. Jetzt sind eigentlich nur mehr China und ein paar Länder ein großes Problem. Unsere Aufgabe wird sein, nicht nur dort anzusetzen, daß man den bestraft, der eigentlich vielleicht der Unschuldigste ist, der Athlet selbst, sondern man müßte viel mehr eingreifen bei den ßetreuern, bis zu Ärzten, bis zu Trainern.

Nicht als Ersatzreligion, aber als wichtige Vorbildfunktion und Erziehungspotential sieht OOC-Chef Leo Wallner den Sport und die Olympische Idee.

DIEFURCHE: Sie haben die politische Dimension des Sports angeschnitten -etwa im Ostblock vor der Wende. Wieviel Einfluß hat Politik noch im Sport? Es hat ja Olympia-Boykotte gegeben, sind diese Dinge jetzt ausgeräumt0 WALLNER: Ich glaube - weitgehend, aus vielerlei Gründen. Man muß den Nationalsport ein bißchen unterscheiden vom olympischen Sport. Der olympische Sport ist heute weitgehend unabhängig geworden. Auch finanziell. Durch die Attraktivität seiner Rechte, die er hergibt, der Veranstaltungen, ist eine gesunde Wirtschaftsbasis entstanden.

Das zweite ist: Die olympische Re-wegung, die olympische Idee — das sieht man an der Bewerbung von Österreich - hat eine solche Attraktivität bekommen, daß sie weniger auf die Politik Rücksicht nehmen muß als umgekehrt. Es könnte sich heute die olympische Bewegung leisten, zu sagen: Das Land nimmt nicht daran teil. Es würde ihr weniger schaden als dem Land.

DIEFURCHE: Natürlich haben Olympische Spiele auch eine kommerzielle Seite. Im Zusammenhang mit der Vergäbe dieser Spiele nach Atlanta wurde gesagt Da hat die Brieftasche gesiegt gegenüber Athen, das eigentlich das historische Recht gehabt hätte, nach hundert Jahren wieder dranzukommen. WALLNER: Es gibt Wahrheiten dahinter, aber es ist ein bißchen vereinfacht, wenn man nur diese beiden Komponenten sieht. Wenn Sie die Umweltbelastung und die Organisationsfähigkeit in Athen anschauen, muß man ja auch das berücksichtigen.

DIEFURCHE: Wird auf Umweltfragen genug Rücksicht genommen? WALLNER: Sehr stark zur Zeit. Das ist sicher die Welle seit Albertville, früher nicht. Der Eingriff des Sports und der Sportstätten auf die Umwelt hat heute schon eine starke Resonanz. Das ist auch wichtig für die Jugend.

DIEFURCHE: Das Internationale Olympische Comite ist nach wie vor eine Art Oligarchie von sich selbst ergänzenden Mitgliedern. Ist das heute überhaupt noch zeitgemäß?

WALLNER: Das ist eine Grundsatzfrage, darüber läßt sich viel diskutieren. Heute ist es einmal so. Üblicherweise haben Länder, die bereits Austragungen hatten, auch die Möglichkeit vorzuschlagen, wer ins IOC kommt. Natürlich könnte man sie frei wählen.

Es wird auch immer wieder ein Diskussionsthema sein, daß ein Comite über die Austragung der Spiele entscheidet, ohne die Verantwortung über die Organisation der Spiele als solches mitzutragen. Die nationalen Comites haben die Verantwortung. Das hat Vor- und Nachteile.

DIEFURCHE: Schließen Sie aus, daß bei der Auswahl der Olympiastädte auch Korruption eine Rolle spielt WALLNER: Ich schließe nichts aus. Im menschlichen Leben etwas auszu schließen, ist irreal, da gehören wir woanders hin, nicht auf diesen Planeten, oder man sollte als Einsiedler wohin gehen. Aber das Bemühen wird sein, die menschlichen Schwächen; die gegeben sind, möglichst zu eliminieren.

Aber das gibt es überall im Leben, bei den Vereinten Nationen, wenn ein Land Kredite kriegt, wenn Wohlverhalten gegenüber einem anderen Land verlangt wird. V\ o ist jetzt die Grenze?

DIEFlRCHE: Ist so ein Massenspektakel wie Olympische Spiele nicht schon an eine. Grenze gestoßen? Die Zahl der Länder und der Athleten hat sich ja, auch durch den Zerfall der Sowjetunion, noch deutlich vermehrt Und die großen I SA müssen beinharte Qualifikationen durchführen. ALLNER: Klar, aber wenn es Spiele der Nationen sind, und nicht nur Spiele der Sportler, dann gibt's keine Alternative. Y\enn die Sportler nach Qualifikation ausgewählt werden, wurden in gewissen Sportarten überhaupt nur zwei, drei, vier Länder gegeneinander antreten. Dann wären es wieder keine ettspiele, da muß man einen Kompromiß finden. Es treten die Besten an. zumindest in einer gewissen Anzahl. Daß es nicht alle der eltbesten sind, wissen wir ja, es können eben die L SA in der Leichtathletik nur das übliche Kontingent schicken und wir bei der alpinen Abfahrt auch.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie Sponsor-ship? Bringt das den Unternehmen unmittelbarfinanziell etwas, oder ist das nur etwas für das Prestige? WALLNER: Es gibt sicherlich Sponserungen, die direkt was bringen, bei einem Massenprodukt. Es gibt aber auch Sponserungen, die eine Imagekomponente haben, die Menschen ansprechen, die nicht direkt Konsumenten dieses Produktes, aber als Meinungsbildner wichtig sind.

DIEFlRCHE: Also letztlich zahlt sich Sponsern für ein Unternehmen aus? WALLNER: Sicherlich, die Frage ist nur, in welcher Größenordnung. Nach dem alten Spruch vom Rockefeller: „Ich weiß, daß 50 Prozent meiner Werbung unnütz ist, nur weiß ich nicht, welche 50 Prozent.”

DIEFlRCHE: Hat Österreich Chancen, wieder einmal Olympische Spiele zu bekommen?

Wm.i.nkk: In Österreich ist das Interesse groß für die Winterspiele 2006. Man diskutiert über Bewerbungen von Innsbruck, Salzburg, Graz und von Kärnten mit Friaul und Julisch-Venetien. Wir treffen die Vorauswahl, und nur der steht zur Diskussion, den wir vorschlagen. International müssen wir im Februar 1998 den Vorschlag einbringen.

Die Chancen sind zur Zeit nicht schlecht. Aus folgenden Gründen: Die letzten Winterspiele waren in Nordeuropa (Lillehammer), es folgen Japan (Nagano 1998) und USA (Salt Lake City 2002). Und die Sommerspiele sind jetzt in Atlanta, die nächsten sind in Sidney, und die übernächsten kommen vielleicht nach Kapstadt, Peking oder sonstwo hin. Das heißt, Europa kann wieder drankommen. Und da in Europa zum Schluß Nordeuropa dran war, bleiben nicht mehr viele Länder über. Und da ist die

Chance für uns sicher nicht gering.

DIEFURCHE: Erwarten Sie Medaillen für Österreich in Atlanta? In welchen Sportarten sind die besten Aussichten0 WALLNER: Ich würde einmal nicht im Plural reden, ich wäre sehr glücklich, wenn wir eine Medaille machen. Nur aus dem Handgelenk, ohne andere zu diskreditieren: Wir haben sehr gute Judokas, wir sind im Reiten mit Simon exzellent, wir haben recht gute Tischtennisspieler, Ruderer, Segler, wir haben im Kajak eine ganz exzellente Frau, Uschi Profanter, und wir sind im Schießen sehr gut.

DIEFURCHE: Geht Ihnen als Tennis-freund nicht Thomas Muster ab? WALLNER: Mir tut sein Fehlen leid. Ich habe lang mit ihm gesprochen. Aber es ist dem einzelnen überlassen.

DIEFURCHE: Zeigt das nicht, daß für manche Sportler Olympische Spiele offenbar wenig Stellenwert haben0 WALLNER: Für Fußball nicht, weil nicht die ersten Mannschaften hingehen, für Eishockey nicht. Und bei Tennis ist es eine Frage: Prämienmöglichkeiten oder Olympische Spiele mit Nulltarif?

DIEFURCHE: Also spielt das Geld letztlich doch wieder eine große Rolle? WALLNER: Wo nicht? Der Amateurstatus war ja eine Lüge. Der ist jetzt weg. Aber daß keine Preise bezahlt werden, ich glaube, das wird in der olympischen Bewegung so bleiben. Wie wollen Sie das denn taxieren? Soll der Tennisspieler das X-fache des Boxers oder des Ringers kriegen? Und wenn sie allen das gleiche geben, ist es wieder uninteressant. Das ist das Übermaterielle bei diesen Spielen. Sie können nur Medaillen gewinnen.

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