6745304-1967_06_05.jpg
Digital In Arbeit

Studentenpolitik im Wandel

Werbung
Werbung
Werbung

Der Ausgang der Hochschülerschaftswahlen, vor allem das schlechte Abschneiden des Wahlblockes, ist Gegenstand verschiedenster Analysen. Der Beitrag von Dkfm. Alfred Stirnemann stellt bestimmte Aspekte des Wahlergebnisses zur Diskussion.

Die Ergebnisse der Hochschülerschaftswahlen vom 25. Jänner 1967 sind bekannt: Der Wahlblock (Union österreichischer Akademiker) hat mit nur 48,69 Prozent zum erstenmal seit 1946 die absolute Mehrheit der Stimmen verloren. Der Ring freiheitlicher Studenten gewann 1,18 Prozent der Stimmen dazu, er wurde von insgesamt 29,85 Prozent der Studenten gewählt. Die Sozialisten konnten mit einem Zuwachs von 0,97 Prozent im Durchschnitt nicht einmal die Stimmen der diesmal zum ersten Male nicht kandidierenden kommunistischen Studenten (VDS 1965: 1,65 Prozent) ganz absorbieren und halten bei 13,05 Prozent. Zwei Splittergruppen: die (Olah-nahe) Arbeitsgemeinschaft fortschrittlicher Studenten erreichte 1,44 Prozent, die (von einem altkatholischen Vikar geführte) Christlichdemokratische Studentenschaft 2,09 Prozent. Hervorstechendes Ereignis neben dem großen Rückgang des Wahlblocks (— 8,9 Prozent) war freilich das unwahrscheinlich gute Abschneiden der an den steirischen Hochschulen wirkenden Wahlblockdissidenten USF (Unabhängige Studentenföderation, gebildet von der „Aktion“ Graz und der Unabhängigen Studentenliste Leoben). Dieser Zusammenschluß katholischer und linksliberaler Kräfte erreichte im Bundesdurohschnitt, ohne alle Wahlwerbung an den außer-steirischen Hochschulen, 4,89 Pro? zent, an der Grazer Universität 28,5 Prozent und an der TH Graz

19 Prozent der Stimmen. Sie nahm allen Studentenfraktionen Stimmen ab, stoppte in Graz den an den anderen Hochschulen doch deutlichen Zuwachs des RFS, auch an dessen bisheriger Domäne, der TH Graz, und ist stimmenstärker als der Wahlblock, welcher auf den dritten Platz verwiesen wurde.

Fronten in Bewegung

Damit sind die seit Entstehen der studentischen Selbstverwaltung nach dem Kriege merkwürdig stabilen Fronten in Bewegung geraten. Daß einer neuen Gruppe Einbrüche von

20 Prozent an den Hochschulen gelangen, steht einzigartig seit dem Wiederauftreten der „nationalen“ Studentengruppen (zuerst 1951 unter dem Namen „Studentische Wahlgemeinschaft“ und „Bund unabhängiger Studenten“, zusammen 16 Prozent, dann ab 1953 als RFS 32,6 Prozent) da. 1953 war es auch, daß der Wahlblock die absolute Mehrheit der Mandate (bei einem Stimmenanteil von genau 50 Prozent) verlor und mit dem an den österreichischen Hochschulen immer schwachen Verband sozialistischer Studenten (VSStö) eine Koalition eingehen mußte. Es ist dies ein mit geringen Ausnahmen fast kontinuierlicher Abbröckelungsprozeß des Wahlblocks seit 1946, wo die christlichdemokratischen Studenten (unter dem Namen FStö) noch 75,3 Prozent erreichten.

Fragen wir, was das Ergebnis dieser Wahl bedeutet. Es bedeutet wohl zunächst eine in Zukunft härtere Konkurrenz um Studentenstimmen und eine erhöhte Chance für Studentengruppen, die echte Alternativen zu den bisherigen Lösungen bieten. Eine derartige Entwicklung könnte leicht den Studenten, stärker umworben und besser vertreten, zum eigentlichen Gewinner der Wahl machen.

Ist das Wahlergebnis auch Bestätigung eines Trends nach rechts, ein Zeichen der Radikalisierung der studentischen Jugend? Bedeutet es eine Reaktion auf das Ergebnis des 6. März? Kommt es zu dem in Graz demonstrierten Bruch zwischen kor-porierten und nichtkorporierten christlichen Demokraten auch an den anderen Hochschulen? Diese Fragen sind zu beantworten, die näheren Gründe für den Wahlausgang aufzuzeigen.

Keine Erklärung dürfte die Annahme bieten, der Ausgang sei von dem Ergebnis der Nationalratswahlen mitverursacht worden und als Protest gegen das Unterrichtsministerium aufzufassen. Warum dieser Protest jetzt nach Verabschiedung der „kleinen Hochschulreform“ zum Tragen kommen sollte und nicht schon zu Koalitionszeiten, ist wohl nicht nachzuweisen.

Rechtstrend?

Dem aufmerksamen Beobachter wird auch die Neubildung von Rechtsgruppen und sogar rechtsradikalen Gruppen nicht entgehen, wie das Eindringen von NDP-nahe-stehenden Funktionären in den RFS und die Vertretung des „nationalen Lagers“ in Linz durch die „Liste oberösterreichischen Studenten“ (LOS), die als rechts vom RFS stehend zu betrachten ist. Der um Österreich und die Demokratie besorgte Beobachter wird diese Entwicklungen auch nicht unterschätzen.

Von einer allgemeinen Radikalisierung oder von einem Rechtsruck der Studenten wird man aber in Österreich nicht sprechen können, sogar die durch die Borodajke-wycz-Affäre besonders exponierten Hochschule für Welthandel verzeichnete nur einen RFS-Zuwachs von 53 Stimmen (von 23,4 Prozent auf 28,7 Prozent, also noch unter dem gesamtösterreichischen Durchschnitt).

Dieses geringfügige zahlenmäßige Anwachsen der „rechten“ Gruppen ist auf zwei Ursachen zurückzuführen: Erstens auf eine größere Unbefangenheit der jetzt an die Hochschule kommenden Studentengeneration, für die nicht wie für die bisherigen Studentengenerationen das Kriegsende den archimedischen Punkt ihres politischen Weltbilds darstellte. Der Krieg, sein Ende und die Folgen sind für sie im allgemeinen nur noch kühl betrachtete (oft auch weithin unbekannte) Geschichte. Dies läßt gewisse Hemmungen, RFS zu wählen, schwinden. Die zweite Ursache ist, daß der RFS als einzige Gruppe wirksame Opposition treibt, was man vom Verband sozialistischer Studenten nicht behaupten kann. So wird diese Gruppe mit ihrer parteimäßig unauffälligeren Bindung zur Alternative für alle, welche mit der bisherigen Exekutive unzufrieden sind. Diese Deutung wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, daß dort, wo es eine andere echte Alternative (Aktion in Graz) gibt, der RFS keine Chancen hat und Verluste hinnehmen muß.

Der Wahlblock als Ursache

Eine Ursache des Wahlausganges waren zweifellos die personellen und strukturellen Bedingungen, unter denen der Wahlblock zu arbeiten hat. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die mangelnde Begabung einzelner ÖH-Funktionäre, etwa an der Wiener und der Grazer Universität, oder die ständige öffentliche Austragung personeller Rankünen an der Technischen Hochschule Wien mitverantwortlich war.

An der Spitze des Wahlblocks stand im Regelfall ein Funktionärstyp, der neben der mehr oder weniger klaglosen Abwicklung der Verwaltungsarbeit, was schon eine nicht unbedeutende Leistung darstellt, nicht mehr die Aufgabe der Interessenvertretung gegen staatliche und akademische Behörden und der Meinungsbildung der studentischen Öffentlichkeit bewältigte.

Das Image, das der Wahlblock in der Öffentlichkeit bietet, hat gelitten. Dazu mag die diesmal nur geringe Herausstellung der in der ÖH vollbrachten Leistung im Wahlkampf beigetragen haben.

Ein anderer im Wahlblock gelegener Grund ist die zuungunsten der nichtkorporierten Wähler und Mitarbeiter institutionalisierte Übermacht der Studentenverbindungen. Diesem überstarken Einfluß auf die ÖH-Politik steht nur ein Wählerstock von etwa 15 Prozent Verbindungsmitgliedern gegenüber. Der

Einwand der Korporation, sie leisteten eben einen Großteil der Arbeit, geht insofern am Problem vorbei, als eben der Einstieg zur Mitarbeit in die ÖH von den genannten Korporationen kontrolliert wird und diese bestimmen wollen, wer welche entscheidende Verantwortung übernimmt. In Graz führte dieser Gruppenegoismus zum Hinausdrängen der Gruppe Nichtkorporierter um den früheren Hauptausschußvorsitzenden der Universität Graz, Sperl, aus dem Wahlblock und zur Halbierung der Grazer Union.

Gruppeninteressen

Der Wahlblock wird gut beraten sein — will er nicht dem Stimmenschwund machtlos zusehen, dadurch eine Gruppe von der zahlenmäßigen Bedeutung des RFS werden und sich schließlich selbst zerstören —, die Lehren aus dem Wahlergebnis zu ziehen. Das bedeutet, die Gruppeninteressen zurückzustellen und zu versuchen, mit den nichtkorporierten Studenten im Wahlblock, der Freien österreichischen Studentenschaft (FÖSt) in Wien, Linz und Salzburg und der „Arbeitsgemeinschaft nichtkorporierter christlicher Studenten“ (ANCS) in Innsbruck zu einer echten, das heißt gleichberechtigten Partnerschaft zu kommen. Es ist deswegen so schwer, diese Parität herzustellen, da jede vermehrte Mitarbeit Nichtkorporierter notwendigerweise die Form von Konzessionen der Korporationen annimmt und dies durch das oft in den Verbindungen herrschende Prestigedenken erschwert wird.

Werden die nichtkorporierten Studenten tatenlos zusehen, wie die christlichdemokratische Studentenvertretung wegen dieses Prestigedenkens und des Korpsgeistes einiger zur Minorität wird? Werden die etwa 85 Prozent nichtkorporierter Wahlblockwähler es hinnehmen, wenn in den neuen Zentralausschuß wahrscheinlich unter den 18 Wahlblockmandataren 12 CVer und 2 KVer, also 14 Korporationsangehörige, und nur 3 bis 4 Nichtkorpo-rierte einziehen? Dieses Zahlenverhältnis zeigt wohl den Strukturfehler, an dem der Wahlblock leidet, sehr deutlich.

Sollte an ihm die große Wahlpartei der christlichdemokratischen Studenten zugrunde gehen? Oder wird die Einsicht in den Studentenverbindungen siegen? Die nächsten Wochen werden die Tendenzen erkennen lassen, die beiden nächsten Jahre die Entscheidung bringen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung