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Zähne für die Demokratie

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Wenn — wie zu erwarten ist — am kommenden Dienstag der Bundesminister für Justiz dem Ministerrat den Entwurf für das „Strafrechtsänderungsgesetz 1962“ vorlegen wird, zeigt der Kalender als Datum den 13. März. Es ist aber vielleicht mehr als nur eine Laune des Zufalls, daß ausgerechnet an jenem Tag, an dem vor bald einem Vierteljahrhundert dieser Staat von der Landkarte getilgt, seine Fahne . herabgeholt und sein Wappen zerbrochen wurde, die für die Gegenwart und Zukunft unseres Gemeinwesens heute Verantwortlichen über einen Gesetzentwurf befinden sollen, der geeignet erscheint, der Republik Österreich und ihren Symbolen auch bei allen jenen Respekt zu verschaffen, die die Lehren der Geschichte noch immer nicht beherzigen wollen. Darüber hinaus soll durch die weitere Vorwegnahme einiger Paragraphen der Strafrechtsreform auch dem inneren Frieden gedient, sowie jedem Versuch, Österreich zu einem Dorado ausländischer Spionagedienste zu machen, ein Riegel vorgeschoben werden.

Alles in allem legistische Maßnahmen, die, aus gegebenem Anlaß getroffen, eigentlich die selbstverständlichste Sache für einen Staat sind, der sich ernst nimmt und der auch von aller Welt ernst genommen werden will.

Nicht so anscheinend in Österreich. Man braucht nur auf die Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate über das ..Strafrechtsänderungsgesetz 1962“ zurückzudenken, für das den gemeinhin verständlichen Namen ,,Gefetz zum Schutz des inneren Friedens“ zu gebrauchen uns keineswegs die Gänsehaut über den Rücken jagt. Neben dem einen oder anderen politischen Hamlet, der ehrlich mit der Frage rang, ob und wie weit man im Namen der Freiheit den Gegnern der Freiheit Schranken setzen kann, soll und darf, meldeten sich auch Stimmen zum Wort, denen man weniger bereit war, die Besorgnis um die „Einschränkung demokratischer Freiheiten“ abzunehmen. Was bekam man da nicht alles zu hören von „volksdemokratischen Vorbildern“ und „titoistischen Zügen“ der Gesetzesvorlage u. a. m. Daß auch demokratische Gemeinwesen mit gesetzlichen Vorkehrungen gegen ihre Verächter keineswegs zimperlich sind, wurde dabei freilich mit keinem Wort erwähnt. Wenn man von den sehr harten Gesetzen Italiens gegen „antinationale Tätigkeit“ absieht, so lieferte uns erst vor Jahresfrist niemand anderer als die Deutsche Bundesrepublik mit dem am 90. Juni 1960 beschlossenen gesetzlichen Bestimmungen gegen die „Volksverhetzung“ ein Beispiel, von dem allerdings bei den innerösterreichischen

Diskussionen nie da Rede war. Aber freilich: wenn sich andere Staaten gegen politische Kleinkriminalität mit einschlägigen Paragraphen wehren, so ist es ihr gutes Recht. Nur Österreich ist anscheinend ein Staat, der, wenn es nach dem Willen einzelner Kritiker ginge, die Nonchalance bis zum Verlust der Selbstachtung ja bis zur Bereitschaft zur Selbstaufgabe, treiben soll. Seltsamer Masochismus Austria-cusl

Dazu kommt freilich noch etwas. Und etwas für das heutige Österreich Typisches dazu. Die Regierungsvorlage für das „Strafrechtsänderungsgesetz 1962“ wurde zuständigkeitshalber vom Bundesministerium für Justiz ausgearbeitet. Der gegenwärtige Chef dieses Ressorts ist Sozialist. Es spricht für das hierzulande verbreitete Denken in „Reichshälften“ Bände, daß daraufhin bei einer von ihm ausgearbeiteten, staatspolitisch aber bedeutsamen Maßnahme in manchen mittleren Rängen der ersten Regierungspartei die Signale auf Vorsicht geschaltet wurden, ja daß sich da und dort Stimmen Opposition anmeldeten, weil das Gesetz „von roter Seite“ komme. Der Gerechtigkeit halber sei freilich festgehalten, daß es umgekehrt wahrscheinlich ähnlich gewesen wäre. Als ob es in Fragen der Staatspolitik überhaupt ein „Rot“ und ein „Schwarz“ geben dürfte! Wir haben deshalb als katholisches Blatt nicht gezögert, als wir zu Weihnachten dem Bundesminister für Justiz das Wort zur Erläuterung seiner dem Schutz des inneren Friedens bestimmten Thesen einräumten. Mehr noch: wir wollten von allem Anfang an die Diskussion über diese Frage aus dem üblichen weltanschaulichen und parteipolitischen Schema heraushalten. Zum Teil ist dies auch geglückt. Nicht zuletzt mit Hilfe verantwortungsbewußter Politiker der Volkspartei, denen es zu danken ist, daß nicht der fatale Eindruck bleibt, die Volkspartei habe sich nur auf Nötigung der Sozialisten zu einem staatspolitisch verantwortlichen Handeln entschlossen. Das wäre doch allmählich die verkehrte Weltl Die letzte Rede des Bundeskanzlers, in der er Entschiedenheit gegenüber „den Versuchen einiger Unbelehrbarer, ein aus unserem Volkskörper längst ausgeschiedenes Gift jungen Menschen erneut einzuimpfen“, ankündigte sowie von der Gepflogenheit aller demokratischen Staaten sprach, sich und ihre Symbole vor jeder Herabwürdigung zu schützen, läßt den Schluß zu, daß auch innerhalb der Volkspartei die Debatte geschlossen und von ihr ein klares Ja im kommenden Ministerrat zu dem in der Diskussion abgerundeten und gewiß auch da und dort verbesserten Entwurf des „Strafrechtsänderungsgesetzes 1962“ zu hören sein wird. Und das ist gut so.

„Vaterlandsliebe oder Arrest“? So fragte in der Diskussion der Chefredakteur der uns verbundenen Grazer „Kleinen Zeitung“, der sich in dem ihm eigenen Idealismus seine • schließliche Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf nicht so einfach machte. Nein, lieber Freund! Vaterlandsliebe kann man, wie jede Liebe, nicht erzwingen. Aber Respekt fordern darf die Republik Österreich auch von dem letzten ihrer Bürger, dem sie am Rande des Eisernen Vorhangs ein Leben in Freiheit und sozialer Sicherheit garantiert. Und was die positiven Maßnahmen betrifft, denen man vor dem Ruf nach dem Staatsanwalt den Vorzug geben sollte? Dem Schreiber dieser

Zeilen sind sie auch sympathischer. Aber Klugheit und Verantwortung heischen immer zuerst einen Damm zu bauen, bevor man edn Feld bestellt.

Positive Maßnahmen! Ein Anfang ist auch hier gemacht. Der Beschluß de Ministerrates, für 1965 ein Doku-mentarwerk über den österreichischen Widerstand herauszubringen, läßt auf eine Neubesinnung in höheren Rängen über das „Woher“ und „Wohin“ dieses Staates hoffen. Vielleicht wäre es über-

haupt an der Zeit, einen Katalog

staatspolitischer Notwendigkeiten aufzustellen. Aber wir haben die verschiedensten Interessenvertretungen, doch noch keine Pressure gioup für Staatspolitik.

Vielleicht formiert sie sich aber allmählich. Die Auseinandersetzungen über das „Strafrechtsänderungsgesetz 1962“, das unserer Demokratie Zähne geben soll, war jedenfalls ein in mehr als einer Hinsicht lehrreicher Test.

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