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Ecclesia und Synagoge

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SYNAGOGE UND KIRCHE IM MITTELALTER. Von Wolfgang Selferth. Kösel-Verlag, München, J964. 247 Seiten, 65 Abbildungen, Leinen. DM 19.50.

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SYNAGOGE UND KIRCHE IM MITTELALTER. Von Wolfgang Selferth. Kösel-Verlag, München, J964. 247 Seiten, 65 Abbildungen, Leinen. DM 19.50.

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Der Buchtitel ist etwas irreführend. Man würde eine historische Abhandlung erwarten; statt dessen werden Deutungen mittelalterlichen künstlerischen und literarischen Schaffens geboten. „Es handelt sich hier nicht um eine Geschichte der Juden im christlichen Mittelalter, sondern um eine geschichtliche Ortsbestimmung für den Rang und die Gültigkeit des religiösen Gedankensystems, dem Ecclesia und Synagoge angehören“ (71). Der Verfasser stellt an Hand mittelalterlicher Kunst- und Literaturwerke oft ausgesprochen spritzig wirkende Überlegungen über das damalige christlichjüdische Gegeneinander und Zueinander an.

Besonders im Anschluß an Formulierungen des Epheserbriefes liebten es die Kirchenväter, Christentum und Judentum als allegorische Frauengestalten — als Ecclesia und Synagoge — zu schildern. Mittelalterliche Künstler komponierten Ecclesia und Synagoge in ähnlich aufgefaßter Symibolhaftigkeit in ihre Kunstwerke, besonders in Kreuzigungsdarstellungen hinein. Der Interpret hat nun zuerst darauf zu achten, in welcher Relation die beiden Symbolgestalten zueinander und zu anderen dargestellten Personen stehen. Dann hat er sich zu fragen, aus welchen historisdien, soziologischen und theologischen Hintergründen heraus gerade diese Kompositionen möglich waren. Aus solchen Überlegungen heraus wertet Seiferth Bildwerke, Monumentalplastiken und literarische Produktionen mit Recht als Gradmesser des inneren Friedens und des inneren Konfliktes zwischen Judentum und Christentum im Mittelalter (57, 71). Wo das Judentum nicht mehr als würdige Frau dargestellt wurde, sondern eventuell als Ehebrecherin oder Hure, war die legitime christlichjüdische Polarität verlassen; statt dessen war man zum genuin paganen Judenhaß abgetsackt. Es ist bezeichnend, daß solche degenerierte Darstellungen unter anderem aus der Kreuzzugszeit bezeugt sind (100 bis 111; vgl. auch 77, 94, 167, 198). Seiferth kann es auch erfolgreich vermeiden, mittelalterliche Werke in dem Sinne zu strapazieren, daß er etwa dauernd auf das neuzeitliche Ideal des ökumenismus als Bewertungsmaßstab rekurrieren würde. Vielmehr faßt er dSe mittelalterliche Welt mit ihrem spezifischen Motivationshorizont und ihrer Vorliebe für Typologie und Ästhetik, die von starkem Streben nach innerer und äußerer Einheit und Abrundung gekennzeichnet war, durchaus als Eigenwert auf. Diese Einfühlung im Sinne des Geltenlassens, die in eine belletristische Darstellungsweise hineinverwoben ist, ist ein charakteristisches Merkmal seiner Deutungen.

Seiferthis Beschreibung der Plastiken des Bamberger Domes ist ein Beispiel jenes eleganten Stils.

„Der Bamberger Meister hat das alte Thema um den Gegensatz zwischen irdischer Verblendung und Sicherheit im Geist bereichert, ihre Spannung durch die Gegenüberstellung von Vergänglichkeit und Dauer verinnerlicht und die beiden Frauen so auf den Boden allgemeinmensch- licher Erfahrung gestellt. Und doch sind es zwei Schwestern, leiblich und seelisch, wie Augustinus und Orige- nes es gelehrt hatten. Sie stammen vom gleichen Adel, aus demselben Haus, aber ihre Lebenswege sind verschieden“ (158 bis 160). Erst nach einer Konfrontierung der beiden Bamberger Gestalten mit jenen des Straßburger Münsters erreicht die Deutung ihren Abschluß: „Ecclesia und Synagoge sind hier (seil, in Straßburg) nicht mehr die beiden Schwestern: die siegreiche Königin blickt auf ihre geschlagene Gegenspielerin, in der die Tragik unerfüllter Erwartung noch menschlicher zum Ausdruck kommt als in Bam berg. Widerspruchslos ergibt sich Synagoge dem Geheimnis ihres Schicksals, bereit fürs Exil. Ihre Blindheit bleibt ohne polemische Züge; gerade im Untergang zeigt sich ihre Schönheit“ (161 und 162). Dann war — so könnte man Seiferths Blickwinkel kurz umschreiben — ein mittelalterlicher Meister auf der Höhe seiner Ausdrucksmöglichkeiten, wenn er nicht nur Aktualisierungen heilsgeschichtlicher Ereignisse vornahm, sondern auch den Gedanken der Einheit des Alten und Neuen Testamentes, dem vom Ursprung und von der Endzeit her ein Versöhnungscharakter anhaftet, in geeigneter Weise zum Ausdruck brachte. Bloße aktualisierende Transpositionen heilsgeschichtlicher Ereignisse in spätere Epochen verführen zur Identifikation aller Juden mit den ,Mördern Christi1 (77, 94, 149, 198). Die Ausgestaltung der durch die Kirchenväter besonders prononciert zum Ausdruck gebrachten Lehre über die concordia veteris et novi Testamenti bewahrt demgegenüber davor, die Synagoge zu entwerten und zu entwürdigen (19 f., 36, 157).

Im Mittelalter herrschte also keineswegs nur eine introvertierte, ketzer-, hexen- und judenverfolgende Gesellschaft!

Zwei Mängel in Seiferths Ausführungen können jedoch nicht un erwähnt bleiben. Oft ist es des Guten zuviel, was an Vergleichen hergeholt wird. Das gilt zum Beispiel für folgende Sätze: „In Bachs Kantate .Wachet auf“ wird Schönheit als religiöse Kategorie ebenso überwältigend erlebt wie in den Schwestern von Bamberg und Straßburg, wie im Werk Dantes und Michelangelos. Die Gleichung von amor dei, ordo und pulchritudo, die Dante aufgestellt hat, gilt auch für Bachs Kantate und findet eine erneute Bestätigung noch in der nächsten Generation durch Kants These, daß das Schöne nichts anderes als das Symbol des sittlich Guten sei“ (221). Dem Verfasser ist hier die sonst glückliche Intuition durchgebrannit und auf dem Feld des Unkontrollierbaren und Unbeweisbaren gelandet. Der zweite Mangel wurde schon von K. Schubert (Wort und Wahrheit 21, 1966, 226 bis 228) registriert: Zuwenig Benutzung auch rechtshistorischer Quellen! Durch deren Verwertung wären viele Überlegungen auf eine konkretere, faßbarere Basis gestellt worden. Abgesehen von diesen Mängeln verraten Seiferths Überlegungen erstaunlich umfassende theologische, historische, literarische und kunstgeschichtliche Kenntnisse und außerdem die Fähigkeit leichter Federführung und großer Kombinaitionisgabe. All dies macht sein Buch zu einer wertvollen, anregenden und unterhaltenden Dokumentation zur Geschichte der Juden im Mittelalter.

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