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Am 48. Breitegrad

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Die koreanischen Verehrer der kommunistischen Philosophie nördlich des 38. Breitegrades werden durch den Ausgang ihres Kriegszuges kaum mehr enttäuscht gewesen sein als ihre europäischen Gesinnungsgenossen am 48. Breitegrad nach ihrer jüngsten Unternehmung gegen den österreichischen Staat. Nichts in dem Konzept stimmte, nicht die Irreführung der großen Masse der Arbeitersdiaft, nicht die vorausgesetzte Wirkung des Terrors, nicht die Mobilisierung bürgerlicher Hasenfüße und Rückversicherer und nicht das Kalkül auf die Schwäche einer waffenlosen staatlichen Ordnungsgewalt. Geblieben sind zum bleibenden Gedächtnis nur die großen Sprüche von ihrem „Ultimatum“ an die Regierung und sonstiges Fortissimo-gerede auf bedrucktem Zeitungspapier. So offenkundig war das Scheitern des Angriffs an dem Widerstand des Volkes, daß auch der große Freund, auf den das Unternehmen rechnete, nach der Enthüllung des Tatbestandes es ablehnte, sich von dieser Gefolgschaft noch weiter kompromittieren zu lassen. Aber schmerzlicher noch für die Nordkoreaner am 48. Breitegrad als dieser letzte jähe Schrecken mag für die Enttäuschten das Erlebnis sein, daß sie genau das Gegenteil von dem in ihre Scheuer brachten, was sie von Anfang an mit ihrem heißen Bemühen einzuheimsen gedachten: Anstatt das Volk zu spalten, seine Stellung nach und nach sturmreif zu machen für die nächste Aggression volksdemokratischer Kohorten, ist erreicht worden, daß sich alle staatstreuen Kräfte zusammenfanden, o wie seit langem nicht.

Man ermißt die Bedeutung, wenn man an die politischen Zwischenfälle und sehr zugespitzten Gegensätzlichkeiten denkt, die das Parteileben dieses Jahres mit Unruhe erfüllt und wahrlich das Mißvergnügen weiter Volkskreise an der Politik, eine schädliche Abstinenz von den öffentlichen Dingen vermehrt haben. Von besonnenen Sprechern mußte immer wieder an das Jahr 1945 und den Sinn des damaligen ungeschriebenen Paktes der beiden großen Parteien, eines sehr realistischen und von den Geboten der staatlichen Selbsterhaltung vorgeschriebenen Rütlischwurs, in Erinnerung gerufen werden, der damals alle gesunden Volkskräfte für das Werk des österreichischen Wiederaufbaues, seiner staatlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit verpflichtete. Wieviel an der Erfüllung des damaligen Entschlusses liegt, das ist in diesen ersten Oktobertagen vor aller Augen lebendig geworden.

Die guten Erkenntnisse, die in diesen Tagen innerhalb dieser und jener politischen Quartiere erneuert worden sind, sollten in allerlei Konferenzzimmern mit großen, auch für Kurzsichtige lesbaren Buchstaben an die Wand geschrieben werden. Man stecke endlich einmal die alten Vokabularien aus einer Zeit, die nicht wieder erstehen darf, in den Ofen. Dazu gehören die in einem andern politischen Klima geborenen Formeln von der „Diktatur des Proletariats“ und dem „Bolschewismus“ der sozialistischen Arbeiterschaft. Sie sind unwahr geworden. Daß in kritischer Situation, da durch das Lohn- und Preisproblem die Stimmungen tief aufgewühlt worden waren, in einer Lage, die äußerste Erprobung abforderte, die sozialistische Arbeiterschaft sich als entscheidender Faktor, als Element des Staatswillens und der gesetzlichen Ordnung bewährte, dieselbe Stellung bezog wie die christliche Arbeiter- und Angestelltenschaft, war nicht von ungefähr, nicht eine augenblickliche glückliche Fügung. Die Wendung von der „Vaterlandslosigkeit“ des entrechteten und gedrückten Arbeiters zur Verteidigung des sozialen Staates gegenüber dem Angriff einer totalitären Diktatur ist erst kürzlich auf dem Jubiläumskongreß der englischen Labour Party als der letzte Ausdruck der großen Entwicklungen in der Arbeiterbewegung des letzten Jahrzehnts bezeichnet worden. Diese Wendung offenbart sich ebenso in den Wandlungen der sozialistischen Arbeiterparteien Hollands und Belgiens, sie hat auch die österreichische nicht unberührt gelassen.

Allerdings dieser Wendung ist die Gesellschaft für immer eines schuldig: die bestimmte Zügelung jener Elemente, deren Eigennutz und Raffgier auch in den sorgenvollen und gefährlichsten Zeiten der Gemeinschaft sich herauswagt. Die Verblendung egoistischer Gruppen, die sich bis zum letzten gegen eine Ordnung der Wirtschaft und eine gerechte Verteilung der Lasten sträuben, ist im Innern Hilfeleistung für den von außen gelenkten Angreifer. Jeder Akt, der diesen Elementen die gebührenden Zügel anlegt, wird das ganze ehrlich arbeitende Volk aller Stände zur Unterstützung der Staatsautorität sammeln. Die Liquidierung alter plattgedrückter Schlagworte zum Nutzen des nachbarlichen Verhältnisses ist auch links fällig. Das Nebeneinanderwohnen wird viel seltener durch Fehler der großen Politik, durch das Aufeinanderstoßen grundsätzlicher, nicht zu überwindender Gegensätze gestört, als durch die kleinen und die argen Bosheiten in der Administrative und eine Tabbuli-stisdie Rechthaberei. Man muß nicht im Vorübergehen dem Nachbarn in sein Blumenbeet hineintreten und man soll auch nicht so tun und handeln, als ob man die Glaubenssachen und Uberzeugungen von dreihundert Millionen Menschen in der Welt nur als Fadesse ein paar alter Damen oder als das Justament von einigen Klerikern und streitsüchtigen Zeitungsschreibern ansähe. Beide Kräfte der Koalition tragen den Staat, eine allein vermöchte es nicht. Schwere wirtschaftspolitische Aufgaben harren der Gesetzgebung und Verwaltung; sie können nur in einträchtiger fester Geschlossenheit gelöst werden. Alles, was geschieht, wird sich angesichts des lauernden Feindes vollziehen. Und dieser Feind weiß genau, daß er den österreichischen Menschen nicht gewinnen, ihn nicht überwinden, seiner Freiheit nicht berauben kann, es wäre denn, es gelänge ihm, zuerst unsere Kräfte aufzusplittern und lahmzulegen, und dann unser Volk zu einem verzweifelten Bettler zu machen. Es wird ihm nicht gelingen,

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