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Das „seltsame Doppelgestirn“

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Metternich und sein Monarch. Von Walther Tritsch. Holle-Verlag, Darmstadt. 728 S., 16.80 DM.

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Metternich und sein Monarch. Von Walther Tritsch. Holle-Verlag, Darmstadt. 728 S., 16.80 DM.

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Vorurteile haben ein zähes Leben. Zumindest mit dem deutschen „Aufbruch" von 1933 hätte die Erkenntnis um sich greifen müssen, daß die Zertrümmerung des Habsburgerreiches, ferne davon, der Sache des Rechtes, des Friedens und der Freiheit zu dienen, genau das Gegenteil dessen bewirkte, was die Schuldtragenden in ihrer Torheit erwartet hatten. Aber erst in den letzten Jahren, da der ursächliche Zusammenhang zwischen jenem sinnlosen Werk der Zerstörung und der Katastrophe des zweiten Weltkrieges immer deutlicher zutage trat, sind sich weitere Kreise so manchen Irrtums bewußt geworden, in den sie bei der Beurteilung Altösterreichs und seiner führenden Gestalten verfallen waren. Doch ist noch manche Korrektur vonnöten, und nirgends mehr als in jenem Teil des üblichen Geschichtsbildes, das die Persönlichkeit und die Politik des größten österreichischen Staatsmannes des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand hat. Unter dem seit Generationen wirkenden Einfluß einer pangermanisch-liberal, marxistisch oder panslawisch orientierten Historiographie gilt Metternich auch heute noch weithin als die verkörperte Reaktion, und sein Name als die summarische Bezeichnung all der wirklichen oder vermeintlichen Uebel, die dem „Fortschrittlichen" als charakteristische Merkmale des sogenannten Vormärz geläufig sind. Daß es Metternichs überragende Staatskunst war, der Oesterreich den Wiederaufstieg aus tiefster Demütigung und die Grundlagen gewaltiger Errungenschaften verdankte, und Europa einen halbhundertjährigen, gesicherten Frieden, das wird geflissentlich ignoriert, selbst noch in einer Zeit, die aus reichlich bitterer Erfahrung gelernt haben sollte, die Verdienste jenes großen Baumeisters einer europäischen Ordnung in ihrer vollen Bedeutung zu würdigen.

Das hier vorliegende Buch ist nicht ein Pan- egyrikus. der keinen Raum böte für das Aufzeigen von Schwächen und Fehlern, von Irrtümern, Versäumnissen oder Mißerfolgen. Es ist vielmehr die Frucht eines wohldurchdachten, ehrlichen Bemühens, frei von jeder parteipolitischen oder ideologischen Tendenz einen gerechten Maßstab anzulegen an Metternich als Menschen und als Staatsmann; und zugleich, auch hier das Menschliche voranstellend, an den Kaiser, dem er durch vierzig Jahre gedient und mit dem zusammen er „ein seltsames Doppelgestirn" gebildet hat, eine Konstellation, in, der Tritsch den Schlüssel zu den unwahrscheinlich großen Erfolgen der österreichischen Staatsführung jene Aera erblickt. Die Wahl der ihm für sein Vorhaben geeignet erscheinenden Methode sowie die Anlage und der Umfang seiner Arbeit, waren offenbar die ureigenste Angelegenheit des Verfassers, und daher ist der ihm von dem einen oder anderen Kritiker gemachte Vorwurf, er habe verschiedene wichtige Neuerscheinungen der Metternich-Literatur unberücksichtigt gelassen oder sich, unter Vernachlässigung anderer Gebiete, zu einseitig mit dem außenpolitischen Wirken des Kanzlers beschäftigt, als irrelevant zu bezeichnen. Was ihm vorgehalten werden muß, ist grobe Nachlässigkeit bei der Durchsicht seines Manuskripts und der Korrekturbogen. So kam es zur orthographischen Mißhandlung einer Reihe historischer Namen wie Alvinczy, Clairfayt, Mer- veldt, Sedlnitzky, Vietinghoff, Zichy u. a. m.; zum Uebersehen, daß die Schlacht von Leipzig nicht einen Tag, sondern drei Tage gedauert hat; zu einer unrichtigen Darstellung der Rolle Metternichs beim Zustandekommen der Heiligen Allianz; und zu nicht wenigen sonstigen Ungenauigkeiten. All das wiegt aber leicht gegenüber den Vorzügen dieses glänzend, mitunter faszinierend geschriebenen Werkes. Tritsch versteht es nicht nur, das Interesse des Lesers von der ersten bis zur letzten Seite in Spannung zu halten; sein Buch birgt eine Fülle von klugen Urteilen und Erkenntnissen, die ihrem Inhalt nach und in ihrer Formulierung wohl wert sind, von jedem beachtet zu werden, dem daran liegt, ein richtiges Bild von dem Wirken Metternichs zu gewinnen.

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