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Digital In Arbeit

Vom Mittelalter bis zur Gegenwart

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ÖSTERREICHISCHE HISTORIOGRAPHIE. (Österreich-Archiv. Schriftenreihe des Arbeitskreises für österreichische Geschichte.) Von Alphons L h o t s k y. Verlag für Geschichte und Politik. Wien 1962. 2if Seiten. Preis 112 S.

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ÖSTERREICHISCHE HISTORIOGRAPHIE. (Österreich-Archiv. Schriftenreihe des Arbeitskreises für österreichische Geschichte.) Von Alphons L h o t s k y. Verlag für Geschichte und Politik. Wien 1962. 2if Seiten. Preis 112 S.

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Schon der erste, die Spätantike behandelnde Abschnitt dieser umfassend gedachten Arbeit läßt erkennen, daß Lhotsky, der in der Historiographie die „Manifestation der wechselnden politischen, sozialen und intellektuellen Zustände“ erblickt, sich nicht mit einer bloßen Aufzählung und mit kurzen Angaben der Entstehung und des Inhaltes der in Betracht kommenden Werke begnügen, sondern stets auch die geistesgeschichtlichen Wurzeln bloßlegen will, aus denen sie erwachsen sind. Beispielhaft dafür ist seine Darlegung, wie „gegenüber der national begrenzten Geschichtsbetrachtung der Juden und der kulturell beschränkten, d. h. die Barbaren ausschließenden, der Antike das, was man .Weltgeschichte' nennt, erst durch die christlichen Aspekte möglich geworden ist“. Mit besonderer Anschaulichkeit weiß Lhotsky dann neben der Annalistik, deren im Hochmittelalter sich ergebende Verbundenheit mit dem im Investiturstreit aufgeflammten Reformgeist er einleuchtend aufzeigt, die jeweils wichtigsten historiographischen Werke in ihrer Bedeutung klar herauszustellen: so die für Passau, den Sitz des Ordinarius der österreichischen Donauländer, so wichtige „Vita saneti Severini“ des Eugippius, die kritisch gewürdigten Schriften des kenntnisreichen, aber auch vor bewußter Quellenfälschung nicht zurückschreckenden „ultramontanen“ Gegners Kaiser Friedrich IL, Albert Böheim, die den Untergang König Ottokars II. und den Aufstieg König Rudolfs berichtende „Historia annoram 1264 bis 1279“ Gutolfs von Heiligenkreuz, Jan Enikels „Weltchronik“ und „Fürstenbuch“ und die diese an Wert noch bedeutend übertreffende „Steirische Reimchronik“ des Otacber ouz : der,Geul sowie, des Abtes Johann von Viktring „Uber certarum historiatum“ — um nur einige Beispiele anzuführen.

Sehr dankbar darf man Lhotsky sein, daß er neben diesen hervorragenden Erscheinungen auch die bereits um 1300 einsetzenden, durch Funde antiker Relikte angeregten epigraphischen Versuche gebührend würdigt. Die Art, wie an allen besprochenen historiographischen Bemühungen Kritik geübt wird, ist ungemein aufschlußreich, und zwar nicht nur für die Geschichtsschreibung, sondern für die Entwicklung des gesamten Geisteslebens in Österreich, wie dies etwa die Besprechung der seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert beginnenden Motivierung der historischen Vorgänge und des politisch folgenreichen Anschlusses der Historie an die Ethik dartut. Eigene Abschnitte widmet Lhotsky der „Chronik von den 95 Herrschaften“ Leopold Stainreuters (f 1400) — mit Recht, war sie doch einer der größten Bucherfolge des Mittelalters — und der historiographischen Leistung Thomas Ebendorfers (f 1464), bei deren wertender Beurteilung er sein ganzes überreiches Wissen von dieser Zeit und ihren Menschen entfaltet. Interessant ist auch die Charakterisierung des Eneas Silvius, mit dem der Humanismus in Österreich seinen Einzug hielt, als eines die Quellen scharf prüfenden Darstellers, aber auch eines selbst „mit besonderer Kritik aufzunehmenden Zeitgeschichtsschreibers“.

Mit der umfassenden Quellenkenntnis und Darstellungskunst in sich vereinenden „Austria“ Johann Spießhaimers (Cuspinia-nus) betrat dann die österreichische Historiographie die nun nicht mehr verlassenen Bahnen der historischen Landeskunde; allerdings konnte, nachdem bereits unter Maximilian I. die Glorifikation der Dynastie in den Vordergrund gerückt war, seit dem Anfall der böhmischen und ungarischen Länder unter Ferdinand I. österreichische Geschichte nur noch unter dynastischem Aspekt geschrieben werden, was, soweit es sich um vom Landesfürstentum geförderte Arbeiten handelte, zur Zurückdrängung der im eigentlichen Sinne' österreichischen Geschichtsauffassung führte. Diese wieder zur Geltung zu bringen blieb, wie Lhotsky darlegt, der ständisch-adeligen und der kirchlichen Historiographie des Barocks vorbehalten. Im allgemeinen erschöpfte sich das geschichtliche Interesse des 17. Jahrhunderts in einer eifrigen Sammelarbeit, deren Früchte für die Geschichtsschreibung genützt zu haben vorweg ein Verdienst des österreichischen Regularklerus ist, eine Leistung, die ihren Gipfel in Hieronymus Pez' großem Werk „Scriptores rerüm Austriacarum“ (1721 ff.) erreichte; hier war der Historie, die durch den um 1700 erfolgenden „epochalen Umbau des bis dahin vorwiegend geschichtlich bestimmten Weltbildes in ein naturwissenschaftlich begründetes“ — treffend charakterisiert Lhotsky diesen Wandel: „Hier hatte das .Mittelalter' sein wahres Ende“ — in ihrer existentiellen Bedeutung bedroht schien, die ihr notwendige neue rationalistische Grundlage geschaffen. Sie hat es der österreichischen Geschichtsschreibung ermöglicht, die ihrer Entwicklung von seite des aufgeklärten Absolutismus, der die Wissenschaft ausschließlich in den Dienst des Staates stellte, und auch von der Revolutionsfurcht der franziszeischen Ära bereiteten Hemmungen zu überwinden, bis das Jahr 1848 auch ihr die ersehnte Freiheit brachte.

Leider hat es die Notwendigkeit, den Umfang seiner Arbeit zu beschränken, Lhotsky , nicht erlaubt, die überreiche Entwicklung der österreichischen Historiographie und die Fülle ihrer Leistungen in der mit dem Revolutionsjahr einsetzenden Epoche mit gleicher Einläßlichkeit darzustellen wie die der vorangehenden Jahrhunderte. Gleichwohl lassen seine Ausführungen in klarer Sicht den Weg überschauen, den die österreichische Geschichtsschreibung seither gegangen ist, und legen die hohe Bedeutung der führenden Historiker und das Gewicht der in dieser Epoche herausgebrachten Arbeiten für immer fest.

Entscheidend ist ja überhaupt, daß dieses Buch die Kontinuität der österreichischen Historiographie vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, ungeachtet aller äußeren und inneren Wandlungen, unwidersprechlich erweist und auch die ihr zuteil gewordene Unterschätzung als in keiner Hinsicht berechtigt abzutun vermag. So darf Alphons Lhotsky für seine auf erschöpfender Kenntnis der ganzen, weit in das Gebiet der Geistesgeschichte sich erstreckenden Arbeit eines tiefen Dankes gewiß seih.

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