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Ein kleines Stück Europa, bitte

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Ohne Beispiel in der österreichischen Innenpolitik ist wohl eine Kundgebung, die an dem Abend zwischen dem Druck dieser Wochenschrift und ihrer Auslieferung stattfand. Junge Menschen der Katholischen Jugend und des Evangelischen Jugendwerkes füllten gemeinsam mit Mitgliedern der Jugendorganisationen der Sozialisten und der Volkspartei den Großen Saal des Musikvereins in Wien. Sie blieben nicht unter sich, Gewerkschaftsjugend gesellte sich dazu. Die Verbände der Union österreichischer Akademiker — freie Studenten wie Farbstuden- ten — stießen ebenso zu ihnen, wie ihre Kollegen von der anderen politischen Fakultät: die Sozialistischen Studenten. Aus den getrennt marschierenden Reihen des Pfadfinderbundes und der Österreichischen Pfadfinder wurde diese bunte Gesellschaft ergänzt. Was hatte allen diesen durch ehrliche weltanschauliche und politische Unterschiede, aber auch, und dies allzuoft, durch Fragen der Taktik und kleinlicher Rivalität getrennten jungen Menschen unseres Landes den Anlaß gegeben, sich zusammenzutun? Nichts anderes als „Die Zukunft Europas“ stand auf der Tagesordnung, in klarer Schau als „die Lebensfrage der jungen Generation“ erkannt. Die europäische Jugendkampagne lief — spät, aber doch — auch in Österreich an… Zwei führende Parlamentarier der ersten wie auch der zweiten Regierungspartei sprachen zu den jungen Menschen. Die Zuhörer hatten Gelegenheit, Anfragen an die Redner zu stellen. Hoffen wir, daß nicht diese schöne eben gewonnene Einmütigkeit des Strebens auf ein der überwältigenden Mehrheit aller jungen Menschen in Österreich gemeinsames Ziel durch Mißtöne gestört werde. Von den gerade in den letzten Wochen künstlich angefachten politischen Leidenschaften ist ja alles, nur nicht Gutes zu erwarten!

Eines aber steht schon heute fest: Werden die jungen Menschen es mit dieser Kundgebung bewendet sein lassen, werden sie sich von Zeit zu Zeit wieder zusammenfinden, um nur ein neuerliches Lippenbekenntnis zu Europa abzulegen, dann ist aller Aufwand umsonst gewesen. Gewiß, die Grenzsteine beseitigt zur Stunde selbst nicht die stürmischeste jugendliche Begeisterung. Etwas aber kann bereits geschaffen werden. Heute bereits in Österreich. Die unnatürlichen Grenzzäune zwischen den einzelnen Organisationen und Verbänden können fallen und einer selbstverständlichen Respektierung des Nächsten, des Kameraden im anderen Hemd, mit der anderen Krawatte oder Knopflochnadel weichen. Gerade von den jungen Menschen sollte eine neue, eine europäische Sprache gesprochen werden. Auch in der österreichischen Innenpolitik. Bis heute hat man auf dieses Phänomen leider vergeblich gewartet. Wie die Alten sungęn, so zwitschern auch die Jungen… Aber es ist alles andere als Gesang, was man da zu hören bekommt. Dementsprechend ist auch das Echo aus den jungen Kehlen. Manchmal hat man sogar den Eindruck, daß viele, die sich „jung“ nennen und die es an Jahren wohl auch sind, sich in viel älteren und engeren Gedankengängen bewegen als manche, die sie selbst am liebsten ins politische Aus- tragsstübchen schicken möchten. Diese Erkenntnis auszusprechen fällt nicht leicht; der Ehrlichkeit halber aber sei sie festgehalten.

Ist es nicht schon mehrmals aufgefallen, daß im österreichischen Sozialismus es gerade jungen Menschen schwer fällt, aus dem starren Gehäuse marxistischer Doktrinen ans Licht des neuen Tages zu gehen? Wortführer der sozialistischen Jugend sind dafür bekannt, daß sie gerne radikal“ auftrefen, von „Klaseenkampf“ und „außerparlamentarischen Kampfmitteln träumen, kulturkämpferische Losungen von vorgestern neu entdecken und gerne „Bürgerschreck“ anno 1910 spielen. Wirklich, kein zündender Funke, kein aus den Erfahrungen der bitteren letzten zwanzig Jahre gewachsenes neues Konzept!

Und auf der anderen Seite des Grabens? Ein wacheres soziales Gewissen vielleicht als einst, aber auch hier gewisse politische Farbkomplexe und in breiten Kreisen ein ziemlich einfallsarmer „Antimarxismus“. Menschen, die aus diesem Schema reiner Negation heraus wollen, sind zum Unterschied vom sozialistischen Lager zwar da, und ihre Zahl ist gar nicht so gering, sie bleiben jedoch allein. Und die Dritten im österreichischen Bunde (von den vierten erübrigt es sich zu sprechen): „die neue Jügend“ jener gemäßigt nationalen Schichten? Die Worte, die gerade in diesen Tagen wieder bei Sonnwendfeiern fallen, sind ebensowenig neu und zukunftsweisend wie der Geist jener wiedererstandenen Turnvereine und Sängerschaften.

Und zu alledem und allen gemeinsam: ein oft intransigenter Gruppenegoismus, der sich absperrt von den „Anderen“, kleiner und kleinlicher Zank, wie zum Beispiel seit Jahr und Tag zwischen sozialistischen Studenten und ihren Kollegen von der „Union“ in der österreichischen Hochschülerschaft. Dazu kommt eine peinliche Angst, von dem „Anderen“ übervorteilt zu werden — aber selbst lauert man sprungbereit auf die geringste Blöße des Gegners. So die Situation dieser österreichischen Jugend — muß man nicht sagen, dieser österreichischen Ju- genden? —, die vor wenigen Tagen das erstemal etwas Gemeinsames tat, ein europäisches Bekenntnis ablegte. Schafft ein kleines Stück Europa, bitte, möchte man ihr zurufen. Grenzsteine im Fackelschein umzuwerfen, hat wenig Sinn. Solches Tun bleibt eine romantische Demonstration, nicht mehr. Schafft dieses kleine Stück Europa, bitte, in Österreich!

Keine Illusionen! Die Zeichen, daß von den jungen Kräften in der Politik eine Besserung des politischen Klimas, eine Versachlichung des Meinungsstreites, ein Abbau alter Vorurteile kommen wird, sind 1952 gar nicht so günstig, wie man es 1945 erwartet hatte. Aber die Hoffnung aufgeben, heißt bekanntlich das Leben opfern. Und das ist in unserem — österreichischen — Fall nicht nur ein schöner Spruch.

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