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Exempel osterreich

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Der Glanz weltlicher Macht überstrahlte den Saal, in den Pokalen perlte der 'Wein und die Geigen sangen. Die Stimmung war so ausgezeichnet, so voll entzückender Heiterkeit, daß Reuter berichten konnte, zwei der vornehmsten Gäste, die sich kurz zuvor noch am Konferenztisch in scharfer Entzweiung begegnet waren, hätten sich beim Abschied in fröhlichen Gstanzeln angesungen und einer hätte den andern darin versichert: „Je länger wir beisammen sind, desto lustiger werden wir sein.“

Ein Gastmahl des Belsazar? Nein, ein diplomatisches Bankett in Moskau. Eine große Hoffnung der Menschheit war freilich ersti vor wenigen Stunden eingescharrt worden. Noch lag der Klang von düsteren Reden, der Schmerz bitterer Enttäuschungen in der Luft, es roch von verwelkenden Kränzen, die irgendwelche Trauernde niedergelegt hatten, und noch brütete ein Geist über der Erde, der makaber und finster war und das Herz beklemmte. Denn eine große Sache des europäischen Friedens war verloren worden. Der Staatsvertrag für Österreich, der in dieser Moskauer Tagung der großen Vier hätte zustande kommen sollen, war in seinen wichtigsten Bestimmungen unvollendet geblieben und dem Schicksal aller gestrandeten Verhandlungsgegenstände) dem Subkomitee verfallen, einem Subkomitee, das — welch ein süßer Trost! 4- in Wien seinen Standort haben wird.

Unser kleines ausgeblutetes Land wird nun zwei Jahre nach dem Kriege, in dem es keine Quisling-Regierung hatte und eigener Handlungsfähigkeit beraubt, weniger Kollaboration leistete, als einer der anderen schon befreiten Staaten, noch weiter in Unfreiheit verharren, vertragsrechtlich seine Kriegsgefangenen zum Kummer vieler tausender Familien nicht zurückerhalten, einem ungewissen Schicksal seiner Wirtschaft, der Abhängigkeit seiner Gesetzgebung, der Fragwürdigkeit seiner parlamentarischen Demokratie ausgesetzt sein. Man hat treffliche Reden über die Befreiung Österreichs aus der Macht fremder kapitalistischer Einflüsse gehalten und nun ist Österreich durch die Verzögerung des Staatsvertrages und seiner wirtschaftlichen Folgen vor eine neue Milliardenbelastung gestellt, die es noch tiefer in seine Staatsschuld an das fremde Kapital verstricken wird. Man soll von uns Österreichern nicht erwarten, daß wir all dies leicht hinnehmen oder den Schmerz verhehlen, den wir über das uns von den Mächtigen zugeteilte Los empfinden. Wir würden ein solches Schicksal nur dann verdienen, wenn wir geschwiegen oder zugestimmt hätten zu Forderungen, die wir nur mit der Hingabe unserer wirtschaftlichen Existenzbedingungen, unserer Unabhängigkeit und unserer Souveränität im Wirtschaftsverkehr und österreichischen Bodens aus naturhafter und uralter kultureller und ökonomischer Verbundenheit erfüllen , könnten. Dann, nachdem wir unsere Ehre verloren, könnte man uns auch unseren Besitz wegnehmen.

Wir erforschen uns. Haben wir Fehler begangen, wirkten in Moskau ungünstige Stimmungen, für die es eine österreichische Schuld gibt? Ein Gespräch der politischen Salons geht darum, ob in dem Kräftespiel der Mächtigen, in dem noch um viele andere unjd auch noch wichtigere Positionen der Weltnolitik gekämpft wird, die Repräsentanz Österreichs stets jene Mitte eingehalten hat, die dem unbestreitbaren Willen des österreichischen Volkes, weder nach hüben oder nach drüben an einer Blockbildung teilzunehmen, hätte entsprechen müssen. Vielleicht waren Verschönerungen der diplomatischen Fassade möglich gewesen. iMan darf jedoch Herrn Molotow, dem schweren Hammer Rußlands, nicht zumuten, daß dieser Staatsmann des mächtigen Ostreiches seine Politik nach den freundlichen oder nicht freundlichen Augen des österreichischen Außenministers ausgerichtet hätte. Und zugegeben muß werden, daß die Stellung des Österreichers zwischen den Fronten der Großen um so schwieriger zu wählen war, je weiter sich die gegnerischen Partner in ihren scharf-geschliffenen Debatten voneinander entfernten und die Gegensätze um die Begrenzung der Reparationsansprüche im deutschen Friedensvertrag sich versteiften.

Österreich ist nun nicht der alleinige Verlustträger nach Moskau. Im Schatten des Kremls standen diesmal die Anliegen des Abendlandes auf der ungeschriebenen Tagesordnung. Ob heute noch die Macht die erste und letzte Instanz für die Rechtsentscheidungen im Völkerleben ist, ob Gerechtigkeit die Ordnung bestimme oder das Gewicht des Schwertes, das in die Waagschale geworfen werden darf. Ob der Frieden auf sittliche Grundlagen gegründet wird oder abermals auf die Diktatur der Starken, die von den Schwachen als inappellabel hingenommen werden müssen. Die letzten Antworten sind noch ausständig. Verträge der Staaten sind Menschenwerk und sie werden selten Vollkommenheit besitzen. Aber sie dürfen nicht, anstatt Frieden und Sicherheit zu begründen, soweit abirren, daß sie neuen Unfrieden und neue Unsicherheit gebären. Österreich wird ein Exempel sein. Von dem österreichischen Staatsvertrag hängt mehr ab als nur die Lebenskraft eines kleinen Landes an einer Völkerscheide. Sein fester Stand ist unentbehrlich für den europäischen Frieden. Seine Hinfälligkeit ruft böse Begehrlichkeiten und neue schwere zwischenstaatliche Weiterungen, ein neues Jahr 1938 hervor. Da es aber heute unzweifelhaft keine Macht gibt, die dem Frieden widerstreben möchte, werden auch die Mittel gefunden werden müssen, ihn zu sichern. Diese Erkenntnis verleiht selbst in der harten Gegenwart Ruhe und Wegsicherheit.

Das Exempel Österreich wird aber auch zeigen, ob die feierlichen Charten, die ein neues, besseres Völkerrecht begründen sollen und die pompösen Aufbauten überstaatlicher Macht nur Papier und kühne Chimäre von Menschenfreunden sind, oder, ob sie zu segenspendender Realität zu werden vermögen, hervorgewachsen aus dem sittlichen Gemeinschaftsbesitz der Völker.

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