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Gut gemeint, aber zu spät!

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ANTISEMITISMUS, die permanente Heraue- forflerung. Mit Beiträgen von Otto Brener, Renö Marcle, Albert Masslczek und Erica Wantoeh. Europa-Verlag, Wien- Frankfurt-Zürich. Herausgegeben von A. Maalozek. 11 Seiten, kart. S 88.—.

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ANTISEMITISMUS, die permanente Heraue- forflerung. Mit Beiträgen von Otto Brener, Renö Marcle, Albert Masslczek und Erica Wantoeh. Europa-Verlag, Wien- Frankfurt-Zürich. Herausgegeben von A. Maalozek. 11 Seiten, kart. S 88.—.

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Wenn eine großherzige Religion auch dem größten Verbrecher bei ehrlicher Reue die ewige Seligkeit verspricht, so trügt dieser Glaube nicht. Denn ehrliche Reue ist unmöglich. Sie wäre ja Selbstzerflei- schung, wäre die Hölle. Man bereut ja nicht die Tat, sondern nur die Folgen. Heute kommt jedes Wort gegen den Antisemitismus zu spät. Es stimmt allerdings, daß er verlöschen muß, wie Reiné Mareic schreibt (einer der beiden christlichen Autoren, die mit zwei jüdischen die Beiträge zu dem Bändchen lieferten), „wenn anders das Menschengeschlecht fortschreiten soll“. Man darf nuir nicht hoffen, dies durch begeisterte Schilderung der Vorzüge der Juden vor ihren Wiotvölkem zu erreichen, deren Willen, das ihnen fremde Gewebe abzustoßen man auf diese Weise schwerlich schwächen oder gar abtöten wird. Und haben Wamtafeln jemals Unfälle unmöglich gemacht? Wie doch Sartre recht hat (sein vortrefflicher Essay über den Gegenstand fehlt merkwürdigerweise in dem Wald der Bücher, die einer der Autoren als Informationsquelle anführt), den Antisemitismus ails unser, nicht der Juden Problem zu bezeichnen! Solange sie um ihr Leben zittern, seien auch wir nicht sicher. Aber wer immer schon morden konnte, wird es auch fernerhin können. Erst wenn durch Veränderung der Welt Kriege unmöglich gemacht sind, wird der unveränderliche Mensch an jeder anderen Art des Massenmordes ebenfalls verhindert sein.

Nach dem Schema, wie „das Kleinkind durch die Erzählung eines Märchens von seiner Resistenz gegen den Griesbrei ahgelenkt wird, nur ins Gigantische und Diabolische gesteigert“ wird auch der Antisemitismus als politische Waffe angewendet, als die ihn Otto Breuer analysiert. Sein Ziel ist nicht, ,eine Minorität zu entwürdigen, sondern die eiserne Faust auf die Majorität zu legen“. Wofür die mittelalterliche Inquisition gegen Hexen und Juden, wie Hitlers Kampf gegen diese Beispiele sind. Daß dieses Schema älter ist als der Antisemitismus selbst, diese Wahrheit zeigt sich an den das Reich Israel zerstörenden (im Jahre 721 vor Christus) Assyrern, ein Volk, das in seinen hervorstechendsten Eigenschaften, der Kriegstüchtigkeit und Menschenverachtiung, des Imperdailismus, der Neigung zu Mas- sendeportartsion, Organisation und Technik, Analogien zum Nazistaat aufweist. Für Breuer ist Antisemitismus Nutzbarmachung der Xenophobie, einer allen Mleinsohien eigenen psychologischen Eigenschaft, die über dien latent überall vorhandenen Sadismus zum Mord führt.

Schließlich lehnt sich die 1943 in London geborene Erica Wantoch gegen jede Abstempelung des Juden als Typus auf: „Man meint uns zu kennen, also erübrigt sich die persönliche Bekanntschaft.“ Sie sei, obgleich in der Emigration geboren, von der Gewalttätigkeit der Ereignisse nicht zu trennen, so wenig wie die Fremdheit von Juden unid Nicihrt- jud-en von ihrem, der Autorin Judentum. Einzige Möglichkeit, vom Antisemitismus loszukommen, sei allein in einer- ununterbrochenen Leistung stetigen und intensiven Bemühens zu erblicken, den „anderen" zu achten, auch wenn man ihn nicht versteht. — Eine schwierige Lektüre. Nur bei größter Aufmerksamkeit erschließt sich der Kern, der überzeugt.

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