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Antisemitismus: feministischer 'Sündenfall”

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Das Alte Testament als „Tendenzschrift”, die Juden „Ein Volk, ein Reich, ein Glaube”, ihr „Erwählungsdünkel” und ihre „Geldgier”, ihr „Schreckensgott vom Sinai” und „Jesus Christus als größtes Holokaust-Opfer” - solche Zitate wecken Assoziationen an das Dritte Reich oder an neonazistische Publikationen.

Weit gefehlt! Es handelt sich um Formulierungen feministischer Autorinnen und vor allem feministischer Theologinnen. Was unglaublich klingt, ist überprüfbare Realität: Ihre Rücher erscheinen mit mehrfachen Auflagen seit etwa zehn Jahren. Die Diskussion über Antijudais-mus in der feministischen Theologie begann, ausgelöst durch jüdische Feministinnen, 1979/80 in den USA, mit Verzögerung hat sie vor zehn Jahren den deutschen Sprachraum erreicht.

Eine Krise der Frauenbewegung? Eine Spätfolge der mangelhaften Vergangenheitsbewältigung? Ist die Parallelität mit der offensichtlichen politischen Entwicklung nach rechts im Gefolge der gesellschaftlichen Umbrüche ein Zufall?

Die Forschung über Frauen im Nationalsozialismus hatte Mitte der siebziger Jahre begonnen; die Frage nach der Zustimmung der Frauen zu Nationalsozialismus und Antisemitismus wurde allerdings nicht erörtert. Spätere Forschungen kamen zur Erkenntnis, daß Frauen, die Nationalsozialistinnen waren, auch antisemitisch, und jene mit antisemitischer Einstellung auch Nationalsozialistinnen waren. So einleuchtend die Lösung erscheint, so unrichtig war (und ist) sie, vor allem für den katholischen Bereich. In weiterer Folge wurden die Frauen „den Juden” als Opfer gleichgestellt („Jüdinnen” kommen bei Feministinnen nicht vor).

Der Vorwurf des Antisemitismus löst bei feministischen Autorinnen bedenkliche Beaktionen aus. So meinte die feministisch-theologische Zeitschrift „Schlangenbrut”, wer „Matriarchatsforscherinnen” beschuldige, Antisemitinnen zu sein, sei „Agentin des Patriarchats”. Die Autorinnen verteidigen sich gegen den Vorwurf des AntiJudaismus damit, die gesamte christliche Theologie sei antijüdisch ausgeprägt; wer das den Feministinnen zum Vorwurf macht, wolle nur die christliche Frauenbewegung diskreditieren.

Die meisten Feministinnen berufen sich auf Hanna Wolff, die sich selbst nicht als Feministin, sondern am Identitätsproblem des Christentums im Lichte der Tiefenpsychologie Interessierte bezeichnet. Ihre Bücher erreichten seit Ende der siebziger Jahre zwischen drei und neun Auflagen. Zwei Zitate als Beispiel: „Es ist für Christen absolut unmöglich, das Alte Testament weiterhin als ihre Heilige Schrift und Grundlage des Glaubens anzuerkennen ... Den Juden wird endlich das alte Testament als ihr Eigentum, das es immer war, zurückgegeben. Damit würde ein geschichtliches Unrecht gutgemacht.” Und: „Aber vergessen wird doch nicht das größte Holokaust-Opfer, und das ist Jesus Christus, seit 2000 Jahren durch unsere Projektion entstellt, gemartert und sogar immer wieder totgesagt.”

Gerda Weiler - ihr Buch erreichte 1986 die zweite Auflage - stellt fest, durch „die fanatischen Schriften judäischer Priester” sei die Alleinherrschaft des einstmals matriar-chalen Jahwe im Himmel und auf Erden durchgesetzt worden, der sich dadurch zum „Schreckensgott vom Sinai” gewandelt und den jüdischen „Erwählungsdünkel” begründet habe. Und Christa Mulack - 1986 erreichte ihr Buch die vierte Auflage - meint, daß Jahwe kein tieferes Lebensgefühl kenne, sondern nur die „unio zoologica”, die „wohl patriar-chalem Empfinden näherkommt” (womit das uralte und von den Nationalsozialisten begeistert propagierte Vorurteil vom „geilen Juden” fröhliche Urständ feiert).

Auch eine atemberaubende Verknüpfung des Judentums mit Nationalsozialismus und Holokaust ist für feministische Autorinnen kein Problem. Für Hanna Wolff dauert sie bis heute an: „Durch Jahwe ist ein krankmachendes Gottesbild entstanden ... so wundert man sich nicht mehr über Kriegsgreuel, Konzentrationslager, Holokaust oder neueste Ausschreitungen.”

Und Gerda Weiler: „Für unsere moderne Problematik hat die Geschichte des ,auserwählten Volkes' exemplarischen Charakter: herausgelöst aus seinem Urgrund ... spaltet es zerstörerische Aggressionen ab und erkämpft mit einem brutalen ,Aus-mordungsprogramm' die Vormacht im Orient. Auf der Kehrseite der Macht wartet die Ohnmacht. Israel wird verwüstet und hört als Staat auf zu existieren. Wir können diesen Weg als ein Lehrstück begreifen, das zeigt, wie der totale Machtanspruch zum Un-Heil und zu völliger Vernichtung führen muß.”

Für Christa Mulack schließlich entspricht das jüdische Festhalten an den Geboten Gottes dem Gehorsam der Nazis gegenüber den kriminellen Befehlen ihrer. Vorgesetzten. Die „letzte Konsequenz des Prozesses” zeige sich im Nazi-System, „das ,deutsche Söhne' dazu abrichtete, jüdische Mütter, Kinder und Väter zu drangsalieren und umzubringen ...”

Da Feministinnen beteuern, nicht nur gegen die Diskriminierung der Frauen, sondern gegen jegliche Diskriminierungen zu kämpfen, wollen wir im Zweifel annehmen, daß ihnen ihr AntiJudaismus beziehungsweise Antisemitismus nicht bewußt ist.

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