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Glück ist nicht mir Glüchssach

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Es könnte aufregend sein, sich mit dem Glück zu beschäftigen, seine Logik phänomenologisch zu ertasten und eine historische Anthropologie des Glücks zu entwerfen, die davon ausgeht, daß das Glück - wie all die anderen existentiell anmutenden Gefühle auch - so etwas wie eine Geschichte hat, zumindest einen verschiedenen interpretatorischen Rahmen, bestimmte Ausformungen in Raum und Zeit. Ganz offenkundig, auch ohne verklärende Projektion differierte das Glück des Columbus von dem jener Menschen, die er Indianer nannte (das gehörte schon zu seinem Glück).

Aber ist - so steht zu fragen, das Glück überhaupt ein Gefühl so wie Scham, Angst, Verliebtheit, Eifersucht? Und was ist überhaupt ein Gefühl? Ist nicht am Ende das Glück doch auch ein äußeres, kontingentes Ereignis, das mir von außen, scheinbar ohne mein Zutun zukommt? Oder ein friedlicher Zustand, der - so eine Vorstellung vom Glück - auf Dauer gestellt ist? Unzweifelhaft existiert das Glück als Gefühl - der Name besagt es ja: nämlich als Glücksgefühl.

Die deutsche Sprache ist nicht recht hilfreich in der Sichtung und Scheidung all dieser Dinge - des momentanen, punktuellen Glücksgefühls, des langen ruhigen Glücks, des diesseitigen in den antiken Lebenslehren und des jenseitigen der Kirchenväter, und schließlich jenes schicksalhaften, unberechenbar eintretenden Ereignisses, das in Lotterie, Würfelspiel und der rouletteförmigen Kugel versinnbildlicht ist.

Ein heute vorherrschendes naturwissenschaftliches kosmologisches Paradigma legt es nahe, uns, so wie wir als individueller menschlicher, das heißt selbstbewußter Organismus leben (der auch die Reflexion über die Befindlichkeiten des Glücks ermöglicht), als einen höchst unwahrscheinlichen Glücksfall (oder auch Unglücksfall - je nach Wertung) anzusehen. Und es gibt sogar physik-wissenschaftliche „Kosmonauten", die davon ausgehen, daß der Weltraum so groß sein muß wie er ist, um überhaupt die Existenz solchen Lebens, wie wir es sind, und damit Selbstbeschau möglich zu machen -ein letzter Hauch von Theologie klingt in dieser physikalischen Kosmologie an: der Ünermeßlichkeit des

Raumes entspringt eine statistisch immerhin plausible Gattung, die einen nebensächlichen Planeten in einem peripheren Sonnensystem inmitten eines ohnehin zentrumslosen Weltraums bewohnt und diese Unermeßlichkeit und damit auch die der eigenen „glücklichen" Existenz nach Zigtausenden von Jahren erkennt.

Das Thema „Glück" also partizipiert an dieser Unermeßlichkeit mit, und wer sich mit dem Glück beschäftigt, kommt leicht aus dem Ruder: die deutsche Sprache leistet hier kräftigen Vorschub. Denn während das Spanische zwischen felicidad und su-erte, das Französische zwischen bon-heur und fortune, das Englische zwischen happiness und luck dezidiert unterscheiden, bleibt dieser Unterschied im deutschen Glück verborgen.

Happy birthday bedeutet etwas anderes als das ungebräuchliche lucky birthday, das den Wunsch ausspräche, am Geburtstag möge sich ein glückliches Ereignis einstellen. Wenn die ethymologischen Auskünfte nicht trügen, dann ist das deutsche Glück mit dem englischen luck verwandt und meint zunächst den unwahrscheinlicherweise eintretenden Fall, der uns ganz ohne unser Zutun begünstigt. Glück leitet sich von luh-han schließen ab, von der verstummten Vokabel ist die Lücke geblieben.

Glück wäre also die Art, wie etwas schließt, endigt, ausläuft - das gute Ende einer Angelegenheit. Und allmählich ist aus dem unwahrscheinlichen Fall auch die Befindlichkeit geworden, und so man könnte - etwas voreilig obzwar - daraus schließen, daß in deutschen Landen auch der glückliche Zustand als etwas Bares angesehen wird, so selten eben wie der heiß ersehnte Auftritt der Fortuna oder des Fortunatas (mit dem Geldsäckel) im Volksbuch.

Selbst wenn wir gelukke, das zufällige Ereignis, das eine Lücke, einen Mangel schließt, zunächst einmal beiseite lassen, bleibt das Glück ein einigermaßen schillerndes und unbestimmtes Phänomen.

Das Glück sei ein Vogerl, behauptet der Wiener Volksmund, es ist flüchtig nicht nur in der empirischen Bealität, sondern auch als theoretisches Phänomen schwer zu fassen.

Dieser Umstand allein schon könnte einem die Lust vermiesen, sich philosophisch, anthropologisch oder wie auch immer auf das Glück einzulassen. Anders als viele Gefühlslagen im Kosmos der historischen Emotionen kann das Glück erweckende Gefühl, das unwahrscheinliche, vollkommene, unaussprechliche Glück mit Unterschiedlichstem verknüpft sein. Das Glück im Spiel ist ganz offenkundig ein anderes als das in der Liebe oder das einer geglückten Formulierung. Oder das Besitzglück. Und das stille Glück des Mystikers in Gott.

Das Glück sei ein neuer Gedanke in Europa, hat ein Herold der Französischen Revolution, Saint Just, verkündet. Ironisch gesprochen läßt sich sagen, daß es kaum zuvor so viele programmatisch glückstrahlende Gesichter gegeben hat wie heute in der Welt der Werbung und der inszenierten Kommunikation.

Am Glück kommt man in der Neuzeit nicht vorbei, geradezu penetrant drängt es sich auf und es bestärkt seine vermeintlichen wie echten Verächter in ihren Annahmen, daß dieses erstrebte Glück eine einzige Lebenslüge sei.

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