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Tyrannen auf Budapester Bühnen

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Die jüngsten Ereignisse in der i Tschechoslowakei brachten unter anderem eine Entlastung des Theaters als Forum der öffentlichen Meinung zugunsten der wieder funk- i tionsfähigen Publizistik. In Ungarn dagegen wächst das Theater heute ' erst allmählich in die Rolle öffent- t licher Diskussion und Bewußtseins-bildung hinein. Vorerst spricht es noch mehr in Gleichnissen. Der direkte Zugriff, das Aussprechen dessen, was die Menschen unmittel- l bar bewegt, ist die Ausnahme, während es in Prag seit Jahren üblich war. Freilich ist die Tradition hier : anders. Man gab in Budapest immer 1 mehr auf gepflegte Unterhaltung und den Genuß großer Schauspiel- ; kunst. Aber neuerdings zeigt sich, i daß das Theater auch andere Auf- . gaben bewältigen kann. Die Ungarn ; versuchen, aus den Erfahrungen der ; letzten Jahre neue Klarheit über ' ihre Vergangenheit zu gewinnen.

Damals, im Revolutionsjahr 1848 49, standen sie auf verlorenem Posten zwischen Österreich und Rußland. Kossuth schürte aus der Emigration den heldenhaften Widerstand bis zum Letzten. Viel unromantischer, realistischer schätzte der Befehlshaber der Revolutionstruppen, Görgey, die Situation ein und — kapitulierte, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Ein halbes Jahrhundert noch lebte er quasi in der Verbannung — verfemt von seinem romantischen Volk. Zwei der größten Dichter Ungarns haben den „Prozeß“ wiederaufgerollt. Laszlo Nemeth bemüht sich in dem Drama „Der Verräter“ um Gerechtigkeit für Görgey, Gyula Ulėsneigt „Im Fak- kellicht“ mehr Kossuth zu. Beide Stücke werden in Budapest gespielt, wobei der große Ferenc Bessenyei im einen den . Görgey, im . andern Košsuth. darstellt. Das ist mehr als eine interessante Schaųspięlerlei- stung. Das wirkt wie der' Hinweis auf die beiden Gesichter des ungarischen Wesens: das eine blickt in romantischem Traum zu den Sternen, das andere sieht den bescheidenen Spielraum eines kleinen Volkes zwischen den Großmächten.

Das sind nur zwei Beispiele für viele Theaterstücke, die sich mit der nationalen Geschichte auseinandersetzen. Auch andere historische Stoffe und bewährte Themen der Weltliteratur werden aus neuen Aspekten verarbeitet. Ein tschechisches Stück findet viel Interesse, das gleichsam ein Vorspiel zum „Hamlet“ ist: „Königsmord“ von Rejnus und Rene zeigt die Situation unmittelbar nach der Ermordung von Hamlets Vater. Claudius beseitigt alle Mitwisser. Nur Polonius ist zu populär beim Volk, um ihn einfach umzubringen. Dieser will, als er genug Beweise hat, die Tat aufdecken. Da naht der äußere Feind, die Armee des Fortinbras. Um der Einheit des Widerstandes willen verzichtet Polonius auf Gerechtigkeit und etwaigen Bürgerkrieg. Er schweigt, der Tyrann regiert vorerst weiter. Das Stück hat Mängel, die hier außer Betracht bleiben mögen. Wichtig ist, daß der große Gewissenskonflikt des Polonius gut über die Rampe kommt. Wie weit soll der Widerstand gegen den Tyrannen, den mörderischen Usurpator gehen? Im neuesten „Elektra“-Stück von Laszlo Gyurko stellt sich die Frage anders. Elektra verlangt von Orest, daß er nicht nur Ägisth tötet, sondern alle, die sein Regime geduldet haben. Ihre Rechtsposition ist zu kalt und radikal, um noch Platz für menschliches Fühlen zu lassen. Orest hat Mitleid mit der Schwäche des Menschen. Er tötet Ägisth und Elektra, um der Masse der schwachen „Normalmenschen“ Ruhe zu geben.

Packend ist die Tyrannengesta” die Miklos Hubay in seinen sieben Szenen unter dem Titel „Nero ' spielt“ vorstellt. Der Römerkaiser spielt mit allen, die ihm nahekom- . men. In diesem Spiel überzeugt ‘ weniger das komödiantische Talent als die blutige Macht, die dahinter . steht. Am stärksten vielleicht ist , die Szene, da er dem greisen Seneca , und der jungen (von Eva Almassi ; sehr attraktiv dargestellten) Pop- j paea erzählt, er habe seine Mutter ermordet. Wie da der „Intellek- tuelle“ sich müht, eine tiefgründige 1 Rechtfertigung für den Muttermord zu finden, und auch die Geliebte nach Entschuldigungen sucht! Nero hört Vergnügen an, läßt dann seine lebende Mutter eintreten und — L ermordet sie schließlich doch. Laszlo : Markus spielt den Schmierenkomödianten auf dem Kaiserthron virtuos. Man denkt ein wenig an Dür- ! renmatt und spürt doch deutlich das 1 eigenwillige, sehr bühnenkundige i Talent des Autors.

An Dürrenmatt geschult wirkt auch der junge Istvan Eörszi, der in i kühner Direktheit die Anregung für ' seine absurde Komödie dem Buda- 'pester Alltag entnimmt. Seine ; „Alte Dame“ ist eine uralte Wohnungsbesitzerin, die ein seit 20 Jah- , ren „junges“ Ehepaar als Gegenlei- 1stung für ein bescheidenes Unter- . mietzimmer tyrannisiert. Die beiden haben keinen anderen Lebensinhalt ' als die Sorge für die Alte. Man gibt ihnen gute Ratschläge, wie man solche hartnäckigen Wohnungs- . besitzer unauffällig umbringen kann, aber in ihrer beschränkten und braven Kleinbürgermentalität bringen sie so etwas nicht fertig. Als die Alte von selbst stirbt, wissen sie nichts mehr mit sich anzufangen. Sie sind jeder Arbeit, jeder Freizeitbeschäftigung entwöhnt, haben keine Freunde mehr. Die Alte war alles, was sie hatten. Glücklicherweise wird sie wieder lebendig. Doch da sterben die „Jungen“. Und schon ist ein neues Paar zur Stelle, das sich der Tyrannei unterwirft. Daß hier nicht die Wohnungsnot allein aufs Korn genommen wird, versteht jeder. Daher wurde das Stück auch ungern auf den Spielplan gesetzt, für ein paar Studioaufführungen, ohne viel Werbung. Aber die wenigen Vorstellungen waren überfüllt. Und die Kritik wußte nicht recht,' wie się Stellung nehmen solltę. Dergleichen ist noch ungewohnt im Budapester Kulturleben.

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