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Verwaltungsgeschichte der Kaiserstadt

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Die gewöhnlich gebrauchte Phrase, daß dieses oder Jenes Buch ,,eine Lücke in der Literatur ausfülle“, ist diesem Werke gegenüber völlig unzulänglich. Denn es trägt eine schon längst fällige Schuld der historischen Wissenschaft an die Stadt Wien ab, und zwar in wirklich vornehmer und mustergültiger Weise. Daß der Verfasser für sein Thema im wahren Sinn des Wortes Neuland pflügt, braucht niemandem nachgewiesen zu werden, der nur einigermaßen in der Literatur zur Geschichte der Stadt Wien Bescheid weiß. Freilich, die Geschichte der Wiener Stadtverfaiiung und Verwaltung ist von den Anfängen bis in die Zeit Maria Theresias und dann bi 1848, für das Mittelalter recht eingehend und für dl Epochen bis zur Revolution durch Einzelarbeiten über verschiedene Spezialfragen, bisher ein Gebiet des geschichtlichen Interessses und des Historikerfleißes gewesen. Aber die nachfolgende Zeit blieb ein Stiefkind der Forschung und darum wohl auch des öffentlichen Interesses. Das kann den Kenner historischer Forschungsarbeit nicht wundernehmen, weil das Aktenmaterial zur Geschichte Wiens, namentlich seit 1848, einen Umfang annahm, an den sich so leicht kein Arbeiter im Bergbau der Historie heranwagt. Der Verfasser gibt über das ins Uferlos gewachsene Aktenmaterial, dem eine verschwindend kleine Menge von Druckwerken gegenübersteht, Auskunft und damit zugleich den ersten und wichtigsten Inhalt des Urteils über die von ihm geleistete Arbeit an die Hand: sein Fleiß ist erstaunlich und der Ertrag höchst bedeutend.

Der Stoff ist vorzüglich gegliedert: Nach dem bereits genannten einleitenden Kapitel: Die Wiener Stadtverfassung und Verwaltung von den Anfängen bis Maria Theresia (1221—1740) folgt: I. Die Wiener Stadtverfassung und Verwaltung in der absolutistischen Zeit 1740—1141 mit der Unterteilung

I. Die Zeit Maria Theresias 1740—1780; 2. Reorganisation des Wiener Magistrates unter Josef IL, 1783; 3. Josefs II. Nachfolger 1790—1848. Das

II. Kapitel: Die Wiener Stadtverfassung und Verwaltung von 1S4S—1890 ist geteilt in: 1. Das Revolutionsjahr 1848; 2. Stadion und die Wiener Gemeindeordnung von 1850; 3. Neuabsolutismus 1850 bi 1860; 4. Die liberale Zeit 1861—1890. Das

III. Kapitel schildert die autonome Stadtverfassung und Verwaltung von 1890—1956: 1. Groß-Wien und das Wiener Gemeindestatut von 1890; 2. Die Wiener Stadtverwaltung von 1890—1918. Das Ganze schließt mit dem Ausblick auf die Wiener“ Stadtverfassung und Vciv aftuBf 1918—1956.

Sehr wichtig in solcher Darstellung ist in erster Linie die angenehme Lesbarkeit, ist die Gerechtigkeit des Urteils. Beide Erfon&rnisse hat der Verfasser einwandfrei erfüllt. Das Buch liest sich durchweg fast wie ein spannender Roman. Gerade die Ausgeglichenheit der Darstellung ist besonders zu rühmen: immer sachlich, ohne Lobeshymnen, Tadelvoten und Vorurteile; genau das, was die Engländer als das Wesen des Gentleman in der Geschichtsschreibung rühmen.

In Einzcldingen zu einer Darstellung noch Wünsche zu äußern, ist angesichts eines auf so engem Raum von nicht ganz 3 50 Seiten ein ungeheures Thema und Material bewältigenden Werkes leicht, viel leichter, alt ein solches Werk selber zu verfassen. Ich will das daher auch im allgemeinen unterlassen und nur anmerken, da0 etwa auf die preußische Städteordnung durch den Freiherrn vom und zum Stein schon in der Einleitung näher eingegangen werden könnte, als es im Texte geschehen ist. daß auf das wirkliche We?en der sogenannten Stadtrechte genauer hingewiesen werden sollte; daß eine Bemerkung über die Ablehnung seitens des Kaisers Josef II. interessant wäre, die Wiener Stadtverwaltung „immer am Weisband! zu führen“, notwendig auch ein kurzer Bericht über das Verhalten des Wiener Magistrates in der sogenannten Jakobinerzeit während der Französischen Revolution und über die Abweisung jeder revolutionären Regung durch die Wiener selber, woraus sich ein besseres Urteil über die „Kaiser-Franz-Zeit“ ergäbe. Für die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts ließe sich Interessante über das Verhältnis der Wiener Stadtverwaltung zur nö. Landesregierung sagen und über das Ende der Wiener Stadtmauern und Basteien sollte einiges Genauere mitgeteilt werden, zumal noch immer dieser Vorgang aktenmäßig nicht klargestellt ist; mir wenigstens waren die Dokumente nicht auffindbar. Aber allei das wären nur Randverzierungen. Die Hauptsache ist, daß der große Wurf gelang. Er ist so gut gelungen, daß ich mir keinen Historiker von Rang und Namen denken kann, der nicht hätte stolz darauf sein müssen, dieses Werk vollbracht zu haben. Ei ist nicht nur in wissenschaftlichem, sondern auch in Stadt- und sraatspatriotischem Interesse sehr tu wünschen,' daß dieses Werk lehr bald, wie ja auch vom Verlag geplant, in Buchform herauskommt. Bis dahin lesen wir ei im „Handbuch der Stadt Wien“, und zwar erschien der 1. Teil im Jahrgang 70, der 2. Teil tritt im Jahrgang 71 ns Licht, der 3. und letzte Teil wird im Jahrgang 72 gebracht werden.

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