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Die hungernde Herde

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Ein außerordentlich belesener Autodidakt hat mit dem vorliegenden Buch ein Werk geschaffen, das zwischen Analyse und Bekenntnis liegt.

David Kelly, vor einem Jahr verstorben, wird in Persönlichkeit n.id Werk im Vorwort von keinem Geringeren als Carl Burckhardt eingehend gewürdigt. Die Einleitung bildet zugleich einen Schlüssel für die Aussagen des Autors, der als englischer Diplomat (zeitweilig Botschafter in Moskau1 die Welt diesseits und jenseits der unterschiedlichen „Vorhänge“ kennenlernen und mit seinen Studien abstimmen konnte. Schließlich war es dem Verfasser auch noch gegönnt, als Präsident des British Council die spezifischen weltweiten Probleme dieser eigenartigen Bildungsinstitution des Empire zu erfahren und im vorliegenden Buch auszuwerten.

In einer attraktiven Unbekümmertheit und in einer bemerkenswerten Verachtung konventioneller Grundsätze referiert D. Kelly im ersten Teil des Buches „Die Oberfläche“ über das Augenscheinliche der internationalen Situation. Nach einer klugen, wenn auch nicht immer belegten Analyse des marxistischen Systems in der sowjetrussischen Darstellungsweise, die er als Diplomaten Moskau einigermaßen kennen-, lernen konnte, glossiert K. vor allem die „Irrwege“ der britischen Kolonialpolitik, die stets versuchte, Eingeborene zu Engländern zu machen und englische gesellschaftliche Institutionen den farbigen Völkern aufzuzwingen.

Die Krise der Weltpolitik scheint dem Verfasser vor allem darin begründet zu sein, daß die Internationale der Diplomaten klassischen Stils und der Könige, die formal und auch tatsächlich „Vettern“ waren, abgelöst wurde durch die Internationale der

Generalstäbe. Die unheilvolle Herrschaft dieser Internationale kann den Zustand des Friedens nur als Provokation empfinden, weil lediglich ein „Endsieg“ ihrem Denken angemessen ist. Wenn aber neben den Experimenten der Generalstäbe noch internationale Politik gemacht wird, kommt es zu den sensationell aufgezogenen und wenig Erfolg versprechenden Konferenzen.

Im zweiten Teil des Buches werden die „Tieferen Strömungen“ untersucht, welche die Bedrohung der westlichen Welt bedingen. Nach einer Untersuchung der Bedeutung der Ideen für die politische Neugestaltung befaßt der Autor sich mit einer mehr vom Glauben (K. ist übrigens Konvertit) als von Analysen bestimmten Auseinandersetzung mit der Geschichtswissenschaft, mit dem Kulturverfall, mit der Psychoanalyse und auch mit der Abstammungslehre, dem wohl amüsantesten Kapitel des Buches („Die Verleumdung des Höhlenmenschen“), das in der vorliegenden Art der Darstellung wohl nur von einem Engländer, der Individualist und geistiger Partisane ist, geschrieben werden konnte. Die Bedrohung der „wahren westlichen Werte“ setzt von 'außen, aber auch von innen her an, insbesondere als Folge eines Verrates der Intellektuellen, welche die „Herde“, die Massen, ohne „Hirten“ lassen und sich mit selbstgefälliger Analyse begnügen.

Das Buch ist Bilanz eines Lebens, reich dotiert mit Erfahrungen und Einsichten, ebenso aber ein Bekenntnisbuch und vor allem darum so lesenswert, weil seine Ausführungen vom berühmten gesunden Menschenverstand des Engländers diktiert sind.

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