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Absage an die Subversion

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Ist es Kollaboration, wenn Christen mit Marxisten dialogisieren? Bei einer Gesprächsrunde in Budapest verneinten marxistische Philosophen und Theologen diese Frage.

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Ist es Kollaboration, wenn Christen mit Marxisten dialogisieren? Bei einer Gesprächsrunde in Budapest verneinten marxistische Philosophen und Theologen diese Frage.

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Kaum beachtet von den österreichischen Medien, jedoch unter großem Interesse der ungarischen und internationalen Medienszene lief vergangene Woche in Budapest ein aus mehreren Gründen höchst interessantes Gesprächstreffen über die Runden. Erstmals fand in einem Land des Warschauer Pakts ein offizieller Dialog zwischen katholischen Theologen und marxistischen Philosophen unter den Auspizien des vatikanischen Sekretariats für die Nichtglaubenden und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften statt.

Der Dialog über „Gesellschaft und ethische Verantwortung“ verlief nicht ohne Schwierigkeiten, wenngleich große Einmütigkeit von den Gesprächspartnern aus Ost und West demonstriert wurde. Schon ein publizistisches Vorgeplänkel in der Tschechoslowakei — hier erteilte man dem christlich-marxistischen Dialog aufgrund der Furcht vor gegenseitiger Unterwanderung eine eindeutige Absage — ließ ein positives Ergebnis in Budapest als fraglich erscheinen. Im großen und ganzen kam es jedoch anders.

Nicht daß die Einzelthemen — der Mensch, die Moral und die Arbeit in christlicher beziehungsweise in marxistischer Sicht — so wahnsinnig aufregend gewesen wären; viele Teilnehmer gaben sich von den in Klausur abgespulten Referaten eher enttäuscht. Aber die direkten Kontakte im Rahmen des Budapester Symposions erwiesen sich als richtungweisend für künftige derartige Veranstaltungen.

Trotz aller Harmonisierungsversuche bei einer großangelegten Pressekonferenz am Schluß des Symposions konnte man aus vielen Beiträgen durchaus kon-fliktträchtige Themen herausfiltern. Die bis jetzt ungelöste Frage der Religionsfreiheit in Osteuropa erwies sich als schwieriges Problem, das die Teilnehmer jedoch nicht vom Dialog abhalten konnte.

Für den Moskauer Atheismusexperten Viktor Garadja ist überhaupt das Budapester Symposion ein Zeichen der Religionsfreiheit in osteuropäischen Staaten. Er konnte sich einen Seitenhieb auf „unsere westlichen Partner“ nicht verkneifen, „die an unsere Religionsfreiheit nicht glauben wollen“.

Die praktischen Resultate aus Budapest werden zunächst sicherlich auf sich warten lassen. Jedoch ist es schon ein Erfolg, um mit Kardinal König — dem Protektor des Symposions — zu sprechen, daß sich Christen und Marxisten im Dialog begegnen.

Die Angst vor gegenseitiger Subversion ist offenbar gewichen; eine Durchsetzung der Dialogergebnisse noch nicht abzusehen.

Man darf jedoch hinsichtlich der Kenntnisnahme der Gesprächsergebnisse durch höchste politische Stellen in Osteuropa einigermaßen optimistisch sein. In Ungarn selbst erhielt das Symposion durch das Zusammentreffen Kardinal Königs mit Parteichef Jänos Kädär zusätzlich Publizität.

Was die Sowjetunion betrifft — sie war mit Garadja und dem Philosophen T. Grigorian vertreten —, so will ein westlicher Teilnehmer aus einer Äußerung Garadj as eine freundschaftliche Verbindung zu Parteichef Michail Gorbatschow herausgehört haben; was bedeutet, daß in diesem Fall ein „Draht“ in höhere politische Regionen besteht.

Was kann man als Ergebnis des Budapester Dialogs herausstreichen? In erster Linie sicherlich die gemeinsame Betonung der, Notwendigkeit allgemein gültiger ethischer Prinzipien in einer äußerst bedrohten Welt Von marxistischer Seite ist außerdem ein kleines Abrücken von einer kollektivistischen Sicht der Moral zu beobachten. Auch die Einzelpersönlichkeit gewinnt hier größeren Stellenwert.

Als „gemeinsamer Feind“ gewissermaßen wird von marxistischer Seite der ethische Indifferentismus, die moralische Apathie und das Disengagement des modernen Menschen in Ost und West vor Augen gestellt. Christentum und Marxismus hätten demnach die gemeinsame und unveräußerliche Aufgabe, der Welt „humanistische Hüfestellung“ anzubieten.

Für die gegenseitige Bewertung bedeutet das den Anspruch des Marxismus, als eine humanistische Weltanschauung auf Dauer gesehen zu werden; gleichzeitig kommen die marxistischen Phüosophen nicht darum herum, auch die Religion, das Christentum, als ein humanistisches Prinzip, das auf Dauer angelegt ist, zu akzeptieren.

Der Dialog wird auf beiden Seiten akzeptiert. Er ist nach zwanzigjähriger Erfahrung mit der ideologischen Auseinandersetzung (Paulusgesellschaft) und den Vorarbeiten der von Wien aus vorangetriebenen Friedensgespräche zwischen Christen und Marxisten zu einem pragmatischen Dialog geworden. Abseits von subversivem Bemühen, taktischen Uberfrachtungen und Aufweichungen der jeweüigen gegensätzlichen Positionen findet man in der Frage nach den Lösungsmöglichkeiten der gegenwärtigen weltweiten Probleme auf einer „realen Ebene“ zusammen.

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