6934583-1983_05_03.jpg
Digital In Arbeit

Als Gotteskinder ohne Selbstsucht

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ziel des geglückten Lebens kann für den Christen nicht in einer Lebensführung unter dem Gesichtspunkt des maximalen Lustgewinns, auch nicht geistiger Art (im Sinn der von den Kirchenvätern erstrebten „beata vita“) bestehen. Zwar kennt das Evangelium die Freude, aber nicht als Selbstzweck, sondern immer nur als „Lohn“ für ein Le-

ben in der Hingabe an Gott und den Mitmenschen.

Deshalb heißt der Inbegriff des geglückten Lebens für den Christen nicht Lust, sondern Liebe. Sie schenkt Gewißheit, Geborgenheit und jene souveräne Freiheit, die in der augustinischen Maxime „liebe, dann tu, was du willst“ (ama, et quod vis fac) zum Ausdruck kommt.

Ein geglücktes Leben ist somit, christlich gesehen, ein Leben in der Liebe, die aber, wie das Evangelium mit allem Nachdruck sagt, in ihrer beglückenden Rückwirkung nur dann erfahrbar ist, wenn sie in der Verbundenheit mit Gott, in der Nachfolge Christi und in der tätigen Hinwendung zum Mitmenschen gelebt wird. Das kommt einer geradezu revolutionären Umgestaltung des gewohnten Lebensstils gleich. Denn:

• „Mit Gott verbunden“ heißt, daß Gott zum bestimmenden Lebensinhalt des Menschen (nach dem Vorgang Jesu) wird.

• „In der Nachfolge Christi“ besagt, daß alles, Denken und Verhalten, unter dem Gesichtspunkt der Stellvertretung gerückt werden muß.

• Mit der „tätigen Hinwendung zum Mitmenschen“ ist nicht nur der Dienst am einzelnen, sondern die Bemühung um eine Vermenschlichung der Gesellschaftsstrukturen gemeint, die ihrerseits utopisch bleibt, wenn das Verhältnis von Mensch zu Mensch nicht auf die vom Postulat der Nächstenliebe bezeichnete Ebene gehoben wird.

So gesehen, ist das Leben in der Liebe der entscheidende Beitrag des Christen zum Frieden der Welt. Umgekehrt ist der Friede die schönste Frucht, aber auch das deutlichste Zeichen eines im christlichen Sinn geglückten Lebens.

Sie ist gleichbedeutend mit der Uraufgabe des Menschseins, die in seiner optimalen Selbstverwirklichung besteht. Denn der Mensch ist nicht, was er sein kann: 0 weil es ihm von seinem Wesen her aufgegeben ist, das im personalen Sinn zu werden, was er naturhaft bereits ist;

• weil er faktisch unter Bedingungen lebt, die ihn auf vielfältige Weise von sich abhalten.

Deshalb geht es bei der Verantwortung für ein geglücktes Leben primär um eine zeitkritische De- nunzierung der entfremdenden Faktoren in der heutigen Lebenswelt (strukturelle Gewalt, Manipulationen, Propaganda, Ideologie). Darauf muß die Weckung des existentiellen Gewissens auf

bauen, das weniger über Gut und Böse als vielmehr über Fortschritt oder Rückschlag auf dem Weg zur „Annahme seiner selbst“ (so Romano Guardini) entscheidet.

Orientierung bietet dabei eine Vorbild-Ethik, die nach Modellen einer exemplarischen Selbstverwirklichung Ausschau hält, um dadurch Maß und Ansporn für die eigene Lebensleistung zu gewinnen.

Zentrale Wegweisung aber ist das Zielbild der Gotteskindschaft, die sich nach der Aussage des Evangeliums in Erweisen der Nächstenliebe (Lk 10,25-37) und Akten der Friedensstiftung (Mt 5,9) bewähren muß.

Denn das Wort „Gotteskindschaft“ bezeichnet jene Annäherung an die Seinsweise Gottes, die den zwischen Selbstsucht und Selbstentfremdung schwankenden Menschen dazu befähigt, den Hang zur Aggressivität durch ein Leben aus den Impulsen der Toleranz, der Mitverantwortung und zumal der Liebe zu überwinden. Daher handelt der aus wirklicher Verantwortung für ein geglücktes Leben, der sich dem Paradigma der Gotteskindschaft verschreibt und mit seiner Hilfe versucht, der Herausforderung der Welt im Geist Jesu Christi zu begegnen.

Der Autor ist Professor für Religionsphilosophie und Christliche Weltanschauung in München.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung