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Am Beispiel Nebenerwerbsbauer

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Das Bemühen der politischen Parteien um die Erschließung neuer Stimmreservoire ist sicher etwas ganz Natürliches. An der Tatsache, daß diese im Regelfall im Einfluß- oder Stammbereich der jeweiligen Gegengruppen gesucht und gefunden werden, ist nichts auszusetzen. Die Regierungspartei versucht, berufliche und menschliche Unzufriedenheit bei Kernschichten der Opposition (Mittelstand, Bauern) für sich auszunützen. Auch nichts Besonderes, da mit dem Vehikel der Unzufriedenheit auch die große Oppositionspartei wieder ans Ruder kommen möchte.

Am Beispiel der Nebenerwerbsbauern läßt sich dies deutlich zeigen. Die SPÖ glaubt, in dieser Berufsgruppe eine . vernachlässigte, unterprivilegierte Schicht entdeckt zu haben - die schönen Reden in den Sophiensälen vor einigen Wochen bewiesen dies. Die ÖVP zeigte jüngst bei einer Veranstaltung in Linz, daß die Regierungspolitik an der Lage der Bauern im allgemeinen und der Nebenerwerbsbauern im besonderen Schuld sei.

Man muß sich von traditionellen Begriffen der bäuerlichen und industriellen Welt lösen, um eine Einordnung vornehmen zu können. Meiner Meinung nach sind es Menschen, die einem außerlandwirtschaftlichen Haupterwerb nachgehen und durch den Besitz von Eigenheimen sowie von Grund und Boden gekennzeichnet sind. Wie lange und wie viel reden wir von der Vermögenspolitik, vom Erfordernis breit gestreuten Eigentums? Hier haben wir Arbeitnehmer, die verfügbares, direkt nutzbares Vermögen haben, greifbares Eigentum, nicht Besitzer von Anteilscheinen anonymer Fonds, von Aktien ohne Einfluß, von Sparbüchern, die von der Inflation angeknabbert werden! Es handelt sich um Vermögen, das im Regelfall im Wert noch steigt. Der Nebenerwerbslandwirt ist kein gescheiterter Bauer, wenn er gescheit ist und nicht jeden erarbeiteten Schilling in die Ubermechanisierung steckt, seine Frau zu Tode rackern läßt, die Familie vernachlässigt und die eigene Freizeit durch unnötige Arbeitsintensität opfert und wie eine Kerze an zwei Enden brennt.

Die Nebenerwerbsbauern begreifen mehr und mehr, wie sie es machen müssen, um die Vorteile ihrer Existenz zu nutzen. Ihre Besonderheit muß akzeptiert werden. Von den Voll- erwerbsbauem, für die sie keine Nestflüchtlinge oder Hemmnisse der Bodenmobilität und Agrarreform sein dürfen, für die (noch) produktionskapitallosen Arbeitnehmer, die in ihnen nicht den zweiten Arbeitsmarktpuffer neben den Gastarbeitern sehen sollen. Für mich realisiert sich im gescheiten Nebenerwerbsbauern eine Wunschvorstellung vieler Gesellschaftspolitiker - angefangen von der Gartenheimbewegung der Zwischenkriegszeit bis zur Vermögenspolitik christ- sozialer wie auch sozialdemokratischer Provenienz.

Heute mögen diese Gedanken noch den einen oder anderen aufregen - aber was der Nebenerwerbsbauer braucht, ist Selbstbewußtsein und Beratung für optimale Nutzung seines Kapitals. Mehr wirtschaftliche und soziale Aufmerksamkeit braucht der Vollerwerbsbauer, ohne den keine sinnvolle Agrarpolitik betrieben werden kann, sowie der noch vermögenslose Arbeitnehmer, dessen Identifikation mit der bestehenden Gesellschaftsordnung Arbeitsplatz und Eigentum an Konsumgütern allein auf die Dauer nicht garantieren können.

Meines Erachtens brauchen viele unserer Mitbürger nicht die katego- rielle Aufmerksamkeit der Parteien vor oder für Wahlzeiten, sie benötigen Anerkennung ihrer Leistungen, mehr Selbstbewußtsein. Die andauernde Weckung neuer Hoffnungen und auch Illusionen, vor allem aber das ständige Schüren der Unzufriedenheit könnte den Verantwortlichen dieses Landes angesichts der um sich greifenden Erkenntnis von Wachstumsgrenzen und manchen Gefahrenhorizonten einmal auf den Kopf fallen.

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