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Digital In Arbeit

Arbeit: Nicht um jeden Preis

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In Demokratien wird viel über Arbeitslosigkeit geredet, in Diktaturen kaum. Was äußerlich als Schwäche erscheint, sollte konstruktiv in Bildung genutzt werden.

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In Demokratien wird viel über Arbeitslosigkeit geredet, in Diktaturen kaum. Was äußerlich als Schwäche erscheint, sollte konstruktiv in Bildung genutzt werden.

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Wirtschaftliche Krisen sind für demokratische Regime bedrohlicher als für diktatorische, weil letztere von vornherein auf Gewalt beruhen, während demokratische Regime ein größeres Maß von Konsens benötigen. Dennoch zeigt die Geschichte klar und eindeutig, daß Demokratien mit Krisen besser fertig werden als Diktaturen.

Demokratische Regime erscheinen jedoch schwächer als sie sind, da ihre Schwächen im Lichte freier Kritik in offenen Debatten sichtbar sind, während die Schwächen von Diktatoren erst unter deren Nachfolgern aufgedeckt werden.

Für alle Demokratien gelten in Krisen die Worte des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, als die Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre die USA auf das schwerste erschütterte: „We have nothing to fear except fear!" (Wir haben nichts zu fürchten außer der Furcht). Das gilt auch für das Problem der Arbeitslosigkeit mit ihrer bedrohlichen seelischen und materiellen Belastung.

Versuche, die Arbeitslosigkeit um jeden Preis einzudämmen, dürften dabei die Belastung der jeweils Betroffenen noch mehr verschärfen. Außerdem ist künstlich subventionierte und daher sinn- und zwecklose Arbeit eher noch deprimierender und degradierender als Arbeitslosigkeit und häufig auch noch belastender für die Wirtschaft und damit für den Lebensstandard.

Diktatorische Regime kommen mit dem Problem der Arbeitslosigkeit insofern eher zurecht als Demokratien, als sie unter den Arbeitslosen Schergen anwerben können, um unbotmäßige Untertanen einzuschüchtern und zu unterdrücken. Darüber hinaus können Regime, die totale Macht ausüben, die Arbeitslosigkeit durch Militarisierung der Arbeitswelt jederzeit abschaffen.

Daher brüsten sich Regime des „realen Sozialismus" oft damit daß es bei ihnen keine Arbeitslosigkeit gebe. Der gleiche Anspruch ist vor fünfzig Jahren vom deutschen nationalsozialistischen Regime erhoben worden — mit einer propagandistischen Ausstrahlung in dem damals von Arbeitslosigkeit geplagten Österreich.

Natürlich gibt es keine Arbeitslosigkeit, wo die Arbeitskraft keine Ware ist, sondern unter militärischer Disziplin frei verfügbar ist. In diesem Sinn gab es unter dem nationalsozialistischen Regime „Die deutsche Arbeitsfront" und gibt es im realen Sozialismus „Helden der Arbeit" an der Produktionsfront.

Arbeitslosigkeit kann degradieren und deprimieren. Sie ist jedoch wahrscheinlich immer noch erträglicher als Zwangsarbeit unter militärischer Disziplin.

Natürlich ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine vorrangige Aufgabe. Eine unmäßige Dramatisierung dieser Aufgabe kann jedoch die moralische Belastung der Beschäftigungslosig-keit unnötigerweise verschärfen. Daher sollte auch die Last der Arbeitslosigkeit für die Betroffenen möglichst verringert werden—auf materieller Ebene durch einen entsprechenden Lastenausgleich.

Auf seelischer oder psychischer Ebene könnte die Last der Arbeitslosigkeit für die Betroffenen verringert werden, indem man nicht (wie jetzt üblich) die Jüngsten und die Altesten entläßt (bei denen es am leichtesten ist), sondern indem die Lernfähigsten freigestellt werden.

Die bei ihnen vorhandene Lernfähigkeit könnte als sinnvolle Investition für die Zukunft genützt werden — und zwar nicht nur in der Form erhöhter beruflicher Kompetenz, sondern auch in kultureller Hinsicht. Sogar in der großen Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre haben weitsichtige Arbeitslose trotz ihrer Notlage die ihnen unerwünschte Freizeit mit Hilfe eines sinnvollen Bildungsprogramms ausgefüllt.

Manche von ihnen konnten auf dieser Bildung sogar eine bessere Zukunft aufbauen; allen dienten solche Programme der Erweiterung ihres geistigen Horizonts. Seinerzeit hat der arbeitslose Buchdrucker Franz Jonas auf diese Weise die Zeit seiner Arbeitslosigkeit genutzt. Er war nicht der einzige.

Der Wohlstand einer Gesellschaft hängt letzten Endes vom konstruktiven Einsatz der Arbeitskraft ab. Ein solcher Einsatz kann jedoch kaum mittels ziel-und sinnloser Arbeit, die nur Beschäftigung um ihrer selbst willen ist, erreicht werden. Dagegen könnte eine antizyklische Bildungspolitik einem zeitweise wahrscheinlich unvermeidbaren Mangel an Arbeitsplätzen ihren Schrecken nehmen. Mit einer solchen Bildungspolitik könnten zeitweise Krisensituationen einer Investition für eine bessere Zukunft dienen, teils durch Ausbau beruflicher Kompetenz und teils durch Hebung der allgemeinen Bildung mündiger Bürger.

Es ist für ein kleines Land kaum möglich einen Damm gegen Entwicklungen zu errichten, welche zu einem zeitweisen Mangel an Arbeitsplätzen führen könnte. Statt dessen erscheint der Bau einer Arche angezeigt, die von der Flut einer zeitweiligen Krise gehoben und getragen werden könnte.

Der Autor ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Wien.

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