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Aus Gräbern auferstanden

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Über die einzigartige Ausstellung „Archäologische Funde der Volksrepublik China“ im Museum für angewandte Kunst brachten wir anläßlich ihrer Eröffnung eine ausführliche Reportage (die Ausstellung ist noch bis 21. April geöffnet). Nachdem bereits mehr als 100.000 Besucher sie gesehen haben, widmen wir ihr noch einen Bericht. F.

Sie beginnt mit den nachgebildeten Fragmenten und Rekonstruktionen des Lan-tien und Peking-Menschen, den Schlagsteinen und Schabern, die diese Wesen des Mittel-pleistozäns vor etwa 500.000 bis 600.000 Jahren bereits formten, und endet mit den großen weiß-blauen Vasen der Yüan-Dynastie und der raffinierten und schönen silbernen Toilettschachtel der Mutter des Königs von Wu, dem Zeugnis höchster Kultur und Eleganz aus der Zeit Rudolfs IV. des Stifters,

Und das ist es auch, was diese Ausstellung von einzigartigen Kunstwerken und Kulturdokumenten zu einem so bewegenden, ja erschütternden Erlebnis macht: der ungeheure zeitliche Bogen, der hinter ihr sichtbar wird, der nahezu die ganze Menschheitsgeschichte umfaßt und der hier den Glanz und das Elend des Menschengeschlechtes demonstriert. Ein ähnliches Erlebnis wie im Pariser „Musee de l'Homme“ stellt sich ein, nur noch reiner und klarer, da auf einen Kulturkreis beschränkt, auf eine Zivilisation, die sich sehr lange autochthon entfaltete.

Es ist nahezu unmöglich, alle die verwirrend schönen und erregenden Dinge zu nennen, die sie, vorbildlich arrangiert und aufgemacht, in ihren leuchtenden Vitrinen wie eine Schatzkammer präsentiert: die ersten schon so ungeheuer formstarken Keramiken der Jungsteinzeit mit ihren stilisierten Bemalungen, die typischen dreifüßigen Gefäße der neolithischen Lung-shan-Kultur, die die Voraussetzung für die technisch perfekten und herrlichen Bronzen der Shang-Dynastie (1600 bis 1100 vor Christus) bilden, mit ihren Dämonenmasken des Allesverschlingers und des Drachen, die ersten Zeugnisse der chinesischen Schriftorakelknochen, die über Krieg und Frieden und die Opfer entschieden — die reich ornamentierten Gefäße der Chou-Dynastie und aus der „Frühlings- und Herbstperiode“, das Jade-Totengewand der Prinzessin Tou Wan, die frühen Akupunkturnadeln und die Schwerter, Messer und Dolche der Han-Dynastie (200 vor bis 200 nach Christus), die speerblattähnliche kleine Pflugschar, die archaischen Figuren des Wagenzuges mit den schnaubenden Pferden und dem nun schon weltberühmten fliegenden himmlischen Pferd, die in ihrer Einfachheit raffinierte Keramik der Chin- und der nördlichen Dynastien, die Funde von der Seidenstraße, Textilreste, die eine Ahnung von der Pracht und dem Reichtum der damaligen Stoffe geben, die rührende Vorform der italienischen Ravioli und der vom Schuldner Po Huai-lo unterschriebene Schuldschein aus dem 8. oder 9. Jahrhundert, die prächtigen Großkeramiken der Tang-Zeit mit ihren realistischen Darstellungen und ihren farbigen Glasuren, die herrlichen Silbergefäße, Dosen, Schalen und Teller, die Kopie der bezaubernden Fresken aus dem Mausoleum der Prinzessin Yung Tai, die die Grazie griechischer Vasenmalerei und von Botticelli-Bildern haben, die grimmigen Wächterfiguren aus Ton und die entzückenden Hofdamen, die dem Kin Ping Meh entstiegen scheinen, die großartige Keramik der fünf Dynastien und der Sung-Zeit und schließlich das Raffinement der Yüan-Zeit, die die heutige Stadt Peking entstehen sah.

Es ist eine Ausstellung der Superlative, auch in den archäologischen Leistungen, die sie zur Voraussetzung hat, die sich in der Volksrepublik China zum Teil vor dem Hintergrund der ersten Kulturrevolution vollzogen, eine Ausstellung, für die sich der großzügige Umbau des Museums am Stubenring mehr als gelohnt hat, eine Schau, die den Glanz der Menschheit in ihren Leistungen fühlbar macht, aber auch ihr Elend — ihre Vergänglichkeit.

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