6870525-1978_21_12.jpg
Digital In Arbeit

Stile wandern durch Eurasien

Werbung
Werbung
Werbung

Die große Ausstellung „4000 Jahre ostasiatische Kunst“ in der Minoriten-kir che Krems-Stein bietet viel mehr als nur einen Blick auf einen fernen Kulturkreis. Rund 800 Objekte aus China, Japan, Korea sowie aus dem Gebiet des Leimaismus lassen Gemeinsamkeiten begreifen und geistige Querverbindungen erahnen. Die Ausstellung ladet zum Verweilen ein, denn der flüchtigen Beobachtung werden sich die erregenden Zusammenhänge verschließen.

Richtig war es, die christliche Arche-tektur der Minoritenkirche mit der Kunst der ostasiatischen Religionen zu konfrontieren. Unaufdringlich tritt dadurch die natürliche Einheit der verschiedenen Wege zur Durchgeisti-gung der menschlichen Existenz hervor. Die Konfrontation ergibt einen durch die Spannung verschiedenartiger Formelemente geschaffenen Zweiklang.

Als Einheit tritt die Menschheit in die für uns bereits schaubare Zeit Eine schwarz und rotbraun bemalte Graburne vom Anfang des zweiten Jahrtausends vor Christus erinnert an ähnliche Funde in Europa. Doch auch die Zeit der legendären Shang-Dynastie (1600-1100 v. Chr.) bietet Gegenstände, die ein ahnungsvoll freies Spiel der Phantasie nicht nur erlauben, sondern geradezu inspirieren: die mit geometrischen Mustern geschmückten Bronzegefäße werden den europäischen Betrachter an Mykene, an Kre-

ta, aber auch an die Bronzezeit in Österreich erinnern.

Sind die analogen Entwicklungen ortsgebunden autochthon oder darf man eine Verbindung und gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Kulturen annehmen? Sicherlich hat die Entwicklung der Technik ihre weitreichenden Gesetze. Wir haben aber keinen vernünftigen Grund, an der Möglichkeit tatsächlicher Begegnungen zwischen den Vertretern verschiedenartiger Kulturen des euroasiatischen Kontinents zu zweifeln: Familien, Sippen, Gruppen konnten in der Einheit ihrer Generationsfolge alle Entfernungen des Festlandes besiegen.

Dennoch gibt es zu denken, daß in China während der Chou-Dynastie (1100-256 v. Chr.) ebenso ein Rückgang der geometrischen Gestaltungselemente zu verzeichnen ist wie in Europa. Eine langsame Entwicklung zum Realistischen bringt dann, während der Han-Dynastie (206-220 n. Chr.), eine Keramik hervor, die wir zu kennen glauben: aus der eigenen Antike. Die Figur einer Dienerin und ein Pferd sind die schönsten Beispiele für diese Tendenz.

Die Keramikfigur eines Kriegers aus der Zeit zwischen 386 und 535 nach Christus leitet die Phantasie zu den Statuetten der Romanik, während eine Holzplastik aus der Zeit zwischen 960 und 1279, den Bodhisattva in der „Haltung der großköniglichen Lässigkeit“

darstellend, die Blütezeit unserer Romanik zu beschwören hilft. Analogien? Eine Kultfigur, auf einem Löwen reitend, aus dem 13. Jahrhundert, scheint eine nächste Phase anzudeuten. Wir neigen dazu, in ihr - ganz und gar unwissenschaftlich - den Zauber der frühen Gotik zu entdecken.

Die Zeit der historisch leicht nachweisbaren Querverbindungen bringt Abenteuerliches, auch leichter Erfaßbares. Zum Beispiel: daß die Reitervölker Mittelasiens mit den Mythenfiguren des Schamanismus sowohl in östliche Richtung nach China, wie auch gegen Westen in den pannoni-schen Raum und noch weiter wirken konnten. Oder. Die Jahre 1368 bis 1644 (Ming-Dynastie) bringen auch in China ein starkes Bürgertum hervor und zugleich eine Formwelt, die uns an den Barock erinnert: eine Holzfigur des Oberbefehlshabers der himmlischen Heerscharen tritt uns voll leidenschaftlicher Vitalität entgegen.

Aus dem frühen 18. Jahrhundert

stammt ein entzückendes Beispiel für den Versuch der Zeit, das Fremdartige im Kult der Exotik verniedlichen zu können: Während unsere Porzellanmanufakturen darangingen, putzige Chinesen auf den Markt zu bringen, formte man in China ebenso possierliche Europäergruppen. Analog sind auch die Zeichen des Niedergangs: der ' Fischkübel aus Porzellan, erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist genauso häßlich, als wäre er in einer unserer Kitschfabriken entstanden.

Weniger umfangreich ist das japanische Material, sehr eigenständig die Kultur Koreas; die des Lamaismus ist nur durch wenige, dafür charakteristische Exponate vertreten. Auch hier führen aber Verbindungen vom ursprünglichen Bon-Glauben des alten Tibet zu den Spuren des Schamanenkultes im mittleren Europa.

Die Kunstwerke stammen aus dem Museum für angewandte Kunst, aus dem Museum für Völkerkunde und aus der Sammlung Walter Exner. Man möge sie studieren, bevor sie in den Depots wieder für lange Zeit verschwinden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung