6829382-1974_30_01.jpg
Digital In Arbeit

Bestiefelte verstehen einander

Werbung
Werbung
Werbung

Um ein Haar hätte Henry Kissingers Vernachlässigung der glosenden Brandherde Washingtons Erfolge beim Löschen der akuten Brände zunichte gemacht. Fast hätte Washingtons Fehleinschätzung der griechischen Obristen die NATO gesprengt. Und seit langem führt Washingtons Etikettierung von Maka-rios' Zypern als „das Kuba des Mittelmeeres“ zur Gefahr eines sowjetisch kontrollierten Ost-Mittelmeeres.

So verheerend — und konsequent — können Fehleinschätzungen nur sein, wenn sie auf falschen Informationen beruhen. Hätte Washington mehr den Berichten der griechischen Demokraten getraut, wäre das NATO-Debakel — ausschließlich eine Schuld der griechischen Junta — vermieden worden.

Im ganzen Mittelmeer, vor allem in den arabischen Staaten und in Israel, wußte man: wer durch Konspiration gegen die griechische Demokratie an die Macht gekommen ist, kann das Konspirieren nicht sein lassen. Das Ziel, aus Partnern der NATO zu südöstlichen Zwingherren der NATO zu werden, trieb die Obristen in Liaisonen mit den Feinden der NATO. Natürlich suchen sie ihre geheimen Sympathisierenden mitzureißen, wenn es gegen die Türkei geht, dem verläßlichen, regionalem Chauvinismus abholden, langsam sich demokratisierenden NATO-Partner am Bosporus.

Selbst wenn das Ärgste zu guter Letzt vermieden — oder hinausgeschoben worden ist: für den Westen, für die NATO bleibt das Resultat arg genug.

Im östlichen Mittelmeer, vor der Einfahrt zum Suezkanal, ist das Bild endgültig verändert. USA, NATO, EG verzetteln sich und zerreiben ihr Prestige als Friedensvermittler.

Und die Sowjetunion? Sie wirkt von der Ferne her, sehr distanziert, die Türken schützend, eher zurückhaltend die Griechen warnend. Sie wirkt auf Ankara — als Fürsprecher in der Krise. Sie wirkt — nach Nachrichten aus Tessaloniki — dem Sitz der unruhigen Nordarmee — auf die griechischen Offiziere, die schon vom „Dolchstoß“ aus Washington sprechen. Fiebern alle Staaten und Gruppen dieser Region vor Empörung, so sind in erster Linie — in Ankara, in Athen, bei der unruhigen Nordarmee in Thessaloniki und in den beiden Volksgruppen Zyperns, in den USA und in der NATO — die Zielscheiben für die frustrierten Aggressionen nicht die Diplomaten Moskaus.

Was die NATO mit aller Kraft verhüten wollte, zeichnet sich jetzt in fast unauslöschlichen Farben ab: das Versagen der NATO als Sicherheitsfaktor führt zu einer integrierten Präsenz des sowjetischen Elementes im Gefüge der regionalen Sicherheit des östlichen Mittelmeeres. Vor dem polnischen Sejm, weit vom Schuß im Mittelmeer, verriet Breschnjew, daß er beim vergangenen Gipfel mit Präsident Nixon ein atomschifffreies Mittelmeer vorgeschlagen habe. Der Vorschlag hat bei Nixon offenbar kein Echo gefunden. Doch Breschnjew nahm die Zypernkrise zur großen Gelegenheit, den Vorschlag, als Maßnahme zur Welt- und Mittelmeersicherheit, der Welt und vor allem den Mittelmeerstaaten zu unterbreiten — ein atomwaffenfreies Mittelmeer, geographisch, strategisch, politisch im Bereich des wachsenden Einflusses — und im Wurf bereich Moskaus. So wie ein atomschifffreier Indischer Ozean, jenseits des Suezkanals.

Das Spiel der griechischen Offiziere ist nicht ausgespielt. Im Fall einer mehr oder weniger gewaltsamen Regierungsveränderung ist Portugals Beispiel das weniger wahrscheinliche, eine andere Offiziers-clique vielmehr die wahrscheinlichere Alternative. In Athen wird bis auf weiteres das Umweltkonspirationsspiel ohne Zweifel weitergespielt. Dolchstoßlegenden sind ideales Konspirationsmaterial, besonders wenn der des Dolchstoßes Bezichtigte über die Konspirateure nach wie vor seine schützende Hand hält.

Werden aber die USA weiter schützen, wenn die europäischen NATO-Partner einmal Distanz zu Athen zeigen? Über das Athener Konspirationsspiel gibt es seit langem Material: so ist Oberst Sojan-nakis der „Mann für Libyen“, Verbindungsmann der Junta zur libyschen Armeeführung, Berater der libyschen Abwehr, Seminarleiter der Kurse libyscher Stabsoffiziere an der griechischen Militärakademie. Vor allem ist er sowohl ein Vertrauter von Generai Ioarinidis wie zugleich von Oberst Ghadaffi. Sojanni-kis war schon während des Krieges Geheimdienstoffizier; niemand weiß, für wen. Seine Ernennung zum Chef der politischen Abteilung der Militärpolizei erfolgt zur gleichen Zeit wie die Ernennung von Ioannidis zum Chef des militärischen Geheimdienstes. Bestiefelte und Bestiefelte verstehen einander. Faschistische Konspirateure der Rechten und der Linken haben ihre Berührungspunkte. Griechenlands NATO-Mitglied-schaft und Libyens neue Sowjet-freündschaft trübte nicht, sondern stärkte das gegenseitige Begehren.

Reeder Vardiojannis ist der Mann der Junta auf den arabischen ölfel-dern. Der Erdöltransporteur und Waffenkaufmann war Finanzier und Komplize beider Offiziersputsehe in Griechenland. Das Geld kommt von seiner Position als Reeder der syrischen Regierung, er ist monopolisierter Waffeneinkäufer der syrischen Armee. Das Parterre, auf dem der Reeder operiert, ist die Welt der von ihm finanzierten griechischen Offiziere und der Führer der Baath-Sozialisien in Syrien und im Irak.

Und überdies: die Ioannidis-Frak-tion wird in der griechischen Armee „Ghadaffisten“ genannt; libysche Offiziere studieren an der griechischen Militärakademie, libysche Piloten werden seit Jahren auf griechischen Mirage-Maschinen ausgebildet. Panzerofflziere der „Nationalgarde“ in Zypern hielten sich im Februar und im März dieses Jahres in Libyen auf; es waren dieselben Offiziere, die mit sowjetischen Panzern während des Putsches das Präsidentschaftspalais in Nicosia zusammenschössen. Libysche Kriegsschiffe werden auf griechischen Werften überholt und ausgerüstet.

Und die Junta verkündet offiziell den USA: „Nie werden wir erlauben, daß von Basen in Griechenland Inspektionsflüge über arabische Territorien unternommen werden.“

NATO-Verbündete — oder Fünfte Kolonne in der NATO?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung