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Der durchleuchtete Bürger

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„Bürgerschutz 2000” lautete das Thema einer Tagung in Innsbruck, die sich mit Gegenwartsproblemen und Zukunftsaspekten des Bürgerschutzes befaßte.

Einhelliger, wenn auch manchmal nicht deutlich artikulierter Befund der Tagung war, daß sich in den westlichen Demokratien ein neuer Typus der Öffentlichkeit abzuzeichnen beginnt.

Mit den Studentenunruhen der „68er”-Generation, Bürgerinitiativen, den Friedensbewegungen und der wieder aufgeflammten Diskussion über ein Widerstandsrecht im demokratischen Staat, die in Hainburg ihre politischpraktische Entsprechung findet, lassen sich Stationen auf dem Weg zu dieser neuen Öffentlichkeit markieren.

Der von Jürgen Habermas in den frühen sechziger Jahren treffend analysierte „Strukturwandel der Öffentlichkeit” von der feudal-repräsentativen über die bürgerliche Öffentlichkeit zu deren Verfallserscheinungen in der Massengesellschaft geht weiter: gerade die Massengesellschaft kann, will sie sich demokratisch organisieren, weder in der „Idylle eines geschlossenen bürgerlichen Rechtsstaates” verharren noch dem aus der Monarchie geretteten „Traum der guten Obrigkeit” huldigen, demzufolge - modern gewendet - „Experten, Verbände und politische Parteien alles zum Besten der Bürger ordnen werden” (der Verfassungsrechtler Peter Pernthaler).

Die „kritische Öffentlichkeit” (Pernthaler) verlange zunehmend nach „demokratischer Kleinkultur”, dürfe dabei jedoch den Boden „rechtsstaatlicher Hochkultur” (der Staatsrechtler Norbert Wimmer) nicht verlassen.

Der sich gegenwärtig vollziehende Wandel von einer Dienst-leistungs- zu einer Informationsgesellschaft findet auch und gerade im Bereich des Rechts seinen Niederschlag. Die Mikroelektronikrevolution wird das Grundprinzip industrialisierter Gesellschaften, die Arbeitsteilung, auf ein noch nicht abschätzbares Niveau hinaufschrauben.

Die für zielgerichtetes individuelles wie staatliches Handeln notwendige Uberblicksverschaf-fung kann vom einzelnen immer weniger geleistet werden. Hier zeigt sich, wie sehr „Information”, und zwar korrekte und zutreffende Information, zum wichtigsten Anliegen und vermutlich auch zur wichtigsten Ware der Zukunft avanciert.

Anhand von Datenbanken, Bildschirmtext, Telekopierern oder Bildtelefon läßt sich nicht nur die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart der Informationsgesellschaft festhalten: staatliche und wirtschaftliche Giganten können ihr Informationsdefizit und -bedürfnis mit hohem Kapitaleinsatz auf Datenmärkten dek-ken, während der einzelne zwischen Datenverweigerung und dem Verlangen nach Datenschutz zu pendeln gezwungen ist.

Das von Gerhard Stadler (Verkehrsministerium) in seinem Referat „Bürgerschutz und elektronische Datenverarbeitung” konstatierte mangelndes Daten-schutzbewußtsein in Österreich fand auf der Innsbrucker Bürgerschutztagung vor allem in der ausgebliebenen Diskussion seinen Niederschlag.

Angesichts der Tatsache, daß durch Koppelung an sich belangloser Daten exakte Persönlichkeitsprofile per Computer ausgedruckt werden können, ist es bedenklich, zu erfahren, daß in Österreich in den letzten fünf Jahren nur etwa hundert Individualbeschwerden im Datenschutzbereich erfolgten und so gut wie keine Zivil- oder Strafprozesse anhängig sind.

Doch das allgemeine Bewußtsein— so Stadler optimistisch und mit Verweis auf die durch Bürgerproteste gefallene Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland - kann rasch umschlagen.

In der Regierungsvorlage zur Datenschutzgesetznovelle wird neben Begriffsvereinfachungen und Verfahrensverbesserungen auch das Auskunftsrecht erleichtert und verbilligt: doch ein solches bleibt brach liegen, wenn es dem einzelnen zu erfahren schlicht unmöglich ist, wo und von wem wofür in Staat und Wirtschaft Daten über ihn gespeichert sind.

Und gegen Datendiebstahl oder -Verfälschung durch sogenannte Hacker, die durch Entschlüsselung von Codes über Tausende Kilometer hinweg in Datenbanken eindringen, ist noch kein Kraut gewachsen: die Dunkelziffer liegt bei der Computerkriminalität zwischen 95 und 99 Prozent.

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