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Der Papst als Gelehrter

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Zu einem kurzen Besuch ist der Papst in seine polnische Heimat zurückgekehrt, auch an den Schauplatz seiner wissenschaftlichen Lehr- und Forschungstätigkeit. Die Person Karol Wojtylas als Seelsorger, als Erzbischof von Krakau, als Papst ist in diesen Tagen oft gewürdigt worden. Was bedeutet Karol Wojtyla als Gelehrter?

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Zu einem kurzen Besuch ist der Papst in seine polnische Heimat zurückgekehrt, auch an den Schauplatz seiner wissenschaftlichen Lehr- und Forschungstätigkeit. Die Person Karol Wojtylas als Seelsorger, als Erzbischof von Krakau, als Papst ist in diesen Tagen oft gewürdigt worden. Was bedeutet Karol Wojtyla als Gelehrter?

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Nach der Matura kam der junge Karol im Herbst 1938 aus seinem Heimatort Wadowice nach Krakau, um dort Polonistik zu studieren. Schon ein Jahr später setzte der Kriegsausbruch und der Einmarsch der deutschen Truppen diesem Studium ein jähes Ende. Wie viele andere Studenten mußte sich Karol Wojtyla durch die Arbeit in einem Kalksteinbruch, dann in einer chemischen Fabrik vor Schlimmerem bewahren. 1941 begann er im Untergrund sein Theologiestudium und wurde 1946 vorzeitig zum Priester geweiht.

Kardinal Sapieha sandte den jungen Priester zum Weiterstudium nach Rom, wo er mit einer Dissertation „Uber den Glaubensbegriff bei

Johannes vom Kreuz“ den Doktortitel erwarb. Nach drei Jahren pastoraler Tätigkeit (1948-1951) habilitierte sich Wojtyla 1953 an der Theologischen Fakultät in Krakau mit einer Arbeit über „Die Möglichkeit des Aufbaus einer christlichen Ethik in Anlehnung an das ethische System von Max Scheler“. Obwohl er diese Möglichkeit ausschloß, anerkannte Wojtyla doch die positiven Werte der phänomenologischen Methode des Philosophierens. Nach der Schließung der Krakauer Fakultät wirkte Wojtyla nach 1954 als Professor für Philosophische Ethik an der Katholischen Universität Lublin.

1958 wurde der erst 38jährige zum Weihbischof von Krakau ernannt, ohne aber seine wissenschaftliche Tätigkeit aufzugeben. 1960 erschien sein Werk „Liebe und Verantwortung“, eine phänomenologische Analyse der Liebe zwischen Mann und Frau mit philosophisch-ethischer und christlicher Interpretation. Diese Betrachtungsweise der ehelichen Liebe verleiht ihrer ethischen Problematik eine weltanschaulich nicht bedingte, überzeugende Aussagekraft.

Seit 1963 Erzbischof von Krakau, seit 1967 Kardinal, war Wojtyla beim Zweiten Vatikanischen Konzil stark engagiert und nahm vor allem auf die Formulierung der Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ maßgeblichen Einfluß.

Wojtylas wissenschaftliches Werk umfaßt mehr als 120 Beiträge aus dem Bereich der Philosophie des Menschen und der Ethik. Sein Hauptinteresse gilt der menschlichen Person und“ ihrem ethischen Handeln. Sein bedeutendstes Werk „Person und Staat“ erschien 1967 und bot eine systematische Analyse der menschlichen Person, wie sie sich in ihrem moralischen Handeln manifestiert. Eine reiche Vortragstätigkeit führte ihn auf zahlreiche wissenschaftliche Kongresse in die Schweiz, nach Italien, in die USA und nach Kanada. 1977 verlieh ihm die Universität Mainz die Würde eines Ehrendoktors.

Wojtylas gesamte wissenschaftliche Tätigkeit wurzelt in seiner Leidenschaft für das- Phänomen „Mensch“. Sein Philosophieren konzentriert sich im personalen Sein als einer „höchsten Formation der Wirklichkeit“.

Am Ausgangspunkt seiner Überlegungen stellt Karol Wojtyla fest, daß sich in der bisher üblichen Anschauung von der Person die tiefe Zerrissenheit unserer philosophischen Tradition mit allen daraus resultierenden Folgen widerspiegelt. Die Philosophie des Seins und die Philosophie des Bewußtseins klaffen auseinander. Wojtyla ist bemüht, diese Zerrissenheit durch eine integrale Auffassung des personalen Seins zu überwinden. Er bleibt also auf dem Boden der Philosophie des Seins, vertieft und bereichert jedoch ihre klassische Theorie des Menschen durch die sicheren Errungenschaften der Philosophie des Bewußtseins.

Wojtylas Methode des Philosophierens bedeutet nach eigenen Worten, von der Erfahrung in ihrem weitesten Sinn auszugehen und sie zu erklären, indem man die darin enthaltenen Wahrheiten ans Licht hebt.

Wojtylas wissenschaftliche Aktivität im Bereich der philosophischen Anthropologie und Ethik beschränkte sich nie auf reines theore-tisieren. Sie war stets auf den konkreten, historischen Menschen bezogen und lebte aus dem Verständnis für die Dramen des menschlichen Schicksals, aus der Besorgnis um die Zukunft des Menschen von heute. Im Vorwort zu „Person und Tat“ schreibt er: „Der Mensch darf seine eigenartige Stellung in dieser Welt, die er selbst gestaltet hat, nicht verlieren.“

So konnte auch Karol Wojtyla als Papst Johannes Paul II. in seiner neuen Tätigkeit auf seinen philosophischen Vorarbeiten aufbauen. Seine anthropologische Orientierung kam während seiner Mexiko-Reise besonders stark zum Ausdruck. In Puebla erklärte er: „Vielleicht beruht die ausständige Schwäche unserer heutigen Zivüisation auf ihrem unzulänglichen Bild vom Menschen.“

Nicht zufällig ist seine erste Enzyklika „Redemptor hominis“ der Problematik der christlichen Anthropologie gewidmet. Ihre Leitlinie ist die Verteidigung der Würde des Menschen und seiner unveräußerlichen Rechte. Dort erklärt der Papst: „Der Mensch in der ganzen Wahrheit seiner Existenz und seines Seins ist der erste Weg, den die Kirche in Erfüllung ihrer Mission gehen sollte!“

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