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Konfuzianer und Christ

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Meng-Tse, ein großer chinesischer Philosoph aus dem 4. Jahrh. v Chr., sagt in seinem VI. Buch, Kap. II, 15: „Wenn der Himmel jemandem eine große Aufgabe übertragen will, so tränkt er sein Herz erst mit Bitterkeit, peitscht seine Nerven und Knochen müde und hungere se:nen Körper vollends aus; er macht ihn ganz klein und elend, indem er erst alle seine Unternehmungen durchkreuzt und über den Haufen wirft. Durch diese Prozedur stählt er sein Herz und wappnet seinen Willen; dann hebt er ihn hoch, macht ihn groß und läßt ihn Dinge vollbringen, zu denen er sonst nie imstande gewesen wäre.“

Als am 4. Oktober 1 9 2 7 der ehemalige Ministerpräsident und Außenminister von China. Lou-Tseng-Tsiang, in dis^y Benediktinerabtei Saint-Andre in Belgien eintrat, um schließlich als Mönch seinen /schon früher oft ausgesprochenen Idealen nachzugehen, fand er bei seinen vielen Freunden und Bekannten außer Hochachtung und Verständnis auch ein Befremden, als ob er sich in den Klostermauern „lebendig begraben“ möchte. Und doch ist dieses lautere Leben eines Diplomaten und Staatsmannes, der sich auf so wunderbare Weise zu einer Brücke zwischen Ost und West auserkoren fühlte, eine so selbstverständliche und organische Einheit, daß man ergriffen vor den Ratschlüssen des Herrn steht, der so Gegensätzliches zusammenführt und in einem Menschenleben so wundervolle Erfüllung entstehen läßt.

Der inzwischen zum Titularabt von Saint- . Pierre in Gent erhobene Dom Pierre-Celestin Lou-Tseng-Tsiang hat im Verlauf des Jahres 1943 seiner Ordensfamilie von Saint-Andre in vier Aussprachen seinen äußeren Werdegang und seine innere Entwicklung dargestellt. Vor seinem neuen ' Apostolat in seiner Heimat, zum Abschied von Europa, hat er nun diese seine Gedanken auch schriftlich in einem Memoirenwerk „Souvenirs et pensees“

niedergelegt. Es ist eine äußerst lohnende Aufgabe, dem Gedankengang dieses Buches, das nunmehr auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Konfuzianer und Christ“ bei Josef Stocker in Luzern erschienen ist, nachzugehen.

In seiner vornehmen, durdi sein Alter abgeklärten Art, berichtet Dom Lou im ersten Teil seiner Erinnerungen über seine diplomatische Laufbahn, die den Zeitraum von 1871 bis 1906 umfaßt. Das Pekinger College Tong-Wen, eine Dolmetscherschule, die dem Departement für auswärtige Angelegenheiten unterstand, brachte ihn an die kaiserlich-chinesische Gesandtschaft in Petersburg, obwohl er sich eigentlich nicht dem Diplomatenberuf widmen wollte. Dort kam es zu zwei für sein weiteres Leben hochbedeutenden Ereignissen, und zwar den Begegnungen mit seinem ersten Chef, dem chinesischen Gesandten am russischen Hofe, Shu-Ching-Shen, der ihm ein trefflicher Lehrmeister wurde, und mit Berta Bovy, einer Schwägerin des dortigen belgischen Gesandten, die als seine spätere Ehegattin auch in religiöser Richtung nicht ohne Einfluß auf ihren Gatten blieb.

Der Aufenthalt in Petersburg dauerte bis J906. In diesem Jahre wurde der mittlerweile zum Gesandtschaftsrat erhobene Lou mit dem Auftrag betraut, in Den Haag eine chinesische Gesandrschaft einzurichten — die chinesische Vertretung in den Niederlanden war bis dahin dem Berliner Gesandten anvertraut gewesen. — Schwierige Verhandlungen mit den holländischen Behörden über die Errichtung chinesischer Konsulate 'in Niederländisch-Indien zogen sich bis 1911 hin und endeten mit einem Erfolg seiner diplomatischen Mission, so daß Lou in seine ehemalige Gesandtschaft Petersburg, diesmal als ihr Chef, zurückkehren konnte. Hier erreichte den mit den Methoden der heimatlichen Herrscher schon längst unzufriedenen Lou die Kunde vom Durchbruch der nationalsozialistischen Bewegung Sun-Yat-Tsens. Er zauderte nicht, einen kühnen Schritt zu unternehmen, indem er auf eigene Initiative zur Abdankung des Kaisers drängte.

Als Folge dieses seines Schrittes wurde ihm sofort nach der Proklamierung der Republik das Ressort des Außenministers angeboten, wo er in kurzer Zeit die ihm seinerzeit von seinem Meister Shu empfohlenen Reformen durchführte. Da das erste republikanische Kabinett unter dem Präsidenten Tang-Chao von kurzer Dauer war, drang der Staatschef Yuan-Shi-Kai in Lou, das neue Kabinett zu bilden. Nur widerstrebend übernahm er den Posten des Ministerpräsidenten, weil sich China damals durch einen Vorstoß Rußlands in einer sehr ungünstigen internationalen Lage befand und es Lou gelungen war. seine Fähigkeiten dem Ausbau der Außenbeziehungen vollkommen zu widmen. Als Chef der chinesischen Delegation beim Friedenskongreß in Paris bezeugte Außenminister Ldu noch einmal seinen staatsmännischen Instinkt, indem er sich auf eigene Faust, entgegen den Instruktionen seiner Regierung, weigerte, seine Unterschrift unter den Friedensvertrag, der bedeutende japanische Forderungen zuließ, zu setzen.

Die riesigen Kundgebungen, die ihn anläßlich seiner Rückkehr nach China erwarteten, waren wohl das letzte, was ihm seine politische Laufbahn bereitet hat, denn die hartnäckige Feindschaft des Auslandes und der Mangel an Unterstützung von Seiten seiner Regierung bewogen Lou bald darauf, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen. 1920 konnte er von der Leitung der Außenpolitik zurücktreten und 1922 verließ er China, um sich in seinem Landhaus am Lago Maggiore niederzulassen. Dort reifte sein Plan, den er schon als Jüngling mit seinem Lehrmeister Shu oft besprochen hat: die Kulturwerte des Abendlandes in ihrer höchsten Blüte kennenzulernen: und zwar in ihrer ältesten lebenden Institution, in der katholischen Kirche. Gespräche mit seiner Frau, die direkt niemals einen Einfluß in dieser Rich:ung auf ihn ausübte, Lektüre von Elisabeth Leseurs „Journal et Pensees de chaque jour“, und ein Briefwechsel mit P. Ma-Liang, der im Alter von fünfundneunzig Jahren das Evangelium ins Chinesische übersetzte, brachten den nun schon 56jährigen Staatsmann seiner christlichen Berufung immer näher.

Als chinesischer Gesandter in Bern, wozu ihn seine Regierung ernannt hatte, unternahm Lou nach einer Unterredung mit dem damaligen Berner Nuntius Maglione, dem nachmaligen Staatssekretär, eine Wallfahrt nach Rom, wo er auch vom Papst empfangen wurde. Alsbald nach dem “Tode seiner Frau, am 6. April 1926, begann er seinen Plan in die Tot umzusetzen und bat den Universitätsprofessor von Fribourg, P. d e Munnyck, ihn mit dem Abt von Saint-Andre in Verbindung zu bringen. Am Abend des Dienstages in der Pfingstwoche wurde er Postulant des Benediktinerordens, am 5. Juli trat er endgültig in die Abtei ein. Mach dem kanonischen Noviziat und einem, für sein Alter recht mühevollem Studium des Lateinischen und der Theologie wurde er 1935 zum Priester geweiht und elf Jahre später zum Titularabt von Saint Pierre in Gent ernannt.

So vielgestaltig und erlebnisreich auch dieser äußere Werdegang Dom Lou» ist, er reicht kaum zu einem Vergleich mit seiner inneren Wandlun. Der Grundsatz des jungen Konfuzianers: recht zu handeln, um immer einen klaren Blick zu haben und unbekümmert seinen Weg zu gehen, fand seine Ausweitung in den Lehren, die sein Lehrmeister, der Minister Shu, dem jungen Adepten gegeben hatte. Shus Bestrebung ging auf eine eigentliche Verjüngung Chinas, das aus einem Zustand der Stagnation, in dem seine besten Uberlieferungen steckenblieben, endlich zum Leben wieder erweckt werden sollte. Shus Blick richtete sich nach dem Westen, wo er das Grundgesetz und die Triebfeder des europäischen Fortschritts ausfindig machen wollte. Seinem forschenden Blick entging nicht die Existenz einer geistigen Weltmacht, deren Alter bis zum Stifter der christlichen Religion zurückreicht. Seine Folgerung daraus war in einem Satz enthalten, den er seinem Schüler ins Leben mitgab: „D le Kraft Europas besteht nicht in seinen Rüstungen; sie beruht nicht in seiner Wissenschaft, sie beruht in seiner Religion!“ Er machte schon damals Lou den Vorschlag, die älteste Genossenschaft innerhalb dieser Kirche auszuwählen und ihr inneres Leben, auf dem ihr Geheimnis beruhen mußte, mitzumachen und zu erforschen. „Wenn Ihnjn aufgegangen ist, welches der Kraftkern und die Seele der Religion Christi ist, dann nehmen Sie, was Sie entdeckt haben, und bringen Sie es den Chinesen!“

Genau in dieser Richtung hat sich seither die innere Wandlung Dom Lous vollzogen. „Meine Konversion ist nicht eine Konversion, sie ist eine Berufung“, schrieb er damals, als man ihn darüber befragte. Seine geistige Nahrung seit den frühesten Tagen war die eines Konfuzianers: der Kult des Allerhöchsten, die kindliche Pietät, der Eifer in der Übung der Tugend, um so den Menschen besser verstehen zu lernen und voranzukommen auf dem Weg der Weisheit: „Der konfuzianische Geist hat mich befähigt, bei all den persönlidien Mängeln der Christen... die strahlende Überlegenheit des Christentums zu sehen ... Im Mittelpunkt des katholischen Kultes finden wir die Feier eines Opfers, das an Erhabenheit alle übrigen sakralen Handlungen unendlich übersteigt, in denen sich die verschiedenen Religionen für das Verhältnis zwischen Mensch und Gott einen Ausdruck zu schaffen und Gott Ehre zu erweisen sudien.“

Dom Lou ist religiösen Problemen bis zu seiner Konversion nie besonders nachgegangen, doch meint er, daß sich ihm, wie jedem anderen in derselben Lage, nach Durchbrechung der Sdiranken dieser Unwissenheit unermeßliche und keineswegs bloß imaginäre Horizonte eröffneten. „Mit einemmal sieht man die Stellung des Menschengeschlechtes auf Erden unvergleichlich tiefer, lebendiger, freudiger, größer und friedlicher ... Und dieses Leben scheint .mir nun wunderbar geeint und geschlossen durch die Heiligkeit seines Ursprungs in Gott und durch die Herrlichkeit seines letzten Zieles, das wiederum er, der allein wahre Gott, ist.“ Nach Matthäus: „Sucht zuerst das Reich Gottes und alles andere wird euch dazugegeben werden“, richtet sich auch Lou und findet dadurch den sicheren Weg zum Gipfel menschlicher Größe und Hochherzigkeit, dem tausend Jahre alten Ideal des Konfuzianismus: „Die ganze Welt versöhnen“.

In diesem Sinne bereitet er sich auch auf seine letzte Aufgabe, das Apostolat in seiner Heimat, vor. Er will, daß der chinesische Klerus die lateinische Sprache und Kultur erfasse, ebenso sollte aber eine Anzahl von begabten Priestern aus dem Mittelpunkt der katholischen Kirche den umgekehrten Weg gehen, indem sie China und seine Kultur möglichst tief kennenzulernen bestrebt sein sollten.

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