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Der Taxistandplatz als Verfassungsgut

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Einen Großangriff auf den Rechtsstaat nennt der frühere Justizminister Hans R. Klecatsky die jüngste Entscheidung des Gesetzgebers, die Beschränkung der Politikerpensionen in Verfassungsrang zu erheben. Es handle sich dabei um einen Vernichtungsakt gegen eine verfassungsrichterliche Entscheidung.

Dies sind nur die stärksten, beileibe aber nicht die einzigen kritischen Aussagen von Verfassungsjuristen in bezug auf die in neuerer Zeit wieder des öfteren geübte Praxis, Gesetze, die vom Verfassunggerichtshof aufgehoben wurden, postwendend in die Verfassung aufzunehmen und so gegen jedwede Kritik abzusichern.

Drei Fälle dieser Art gab es in den letzten zwei Jahren. .

Am 8. März 1985 hob der Verfassungsgerichtshof den Paragraph 103 Absatz 2 des Kraftfahrgesetzes auf, in dem die Verpflichtung der Eigentümer von Kraftfahrzeugen zur Bekanntgabe des Lenkers, der damit eine Verwaltungsübertretung begangen hat, festgelegt wird. Die Begründung war, daß sich der Fahrzeughalter, so er selbst gefahren sei, damit einer strafbaren Handlung bezichtigen müsse. Dazu kann ihn laut Verfassung aber niemand zwingen.

Der nächste Streich folgte im Frühjahr dieses Jahres. Ein Wiener Taxiunternehmer hatte im Vorjahr Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof eingereicht, weil er sich durch die Beschränkung bei der Ausgabe von Konzessionen in der freien Berufsausübung behindert sah. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm recht. Mit dem Erfolg, daß es nun eine Verfassungsbestimmung gibt, die besagt, daß die Beschränkung der Zahl der ausgegebenen Konzessionen nach dem Bedarf zulässig ist.

Gegenüber diesen beiden Fällen, wo es jeweils einer einzelnen Lobby gelungen ist, ihre Interessen durchzusetzen, erscheint der Beschluß der Koalition über die Beschränkung der Politikerpensionen noch eher verständlich. Nach Ansicht des Grazer Verfassungsrechtlers Wolfgang Mantl ist diese Entscheidung im Sinne der Güterabwägung gerade noch gerechtfertigt. Was nach übereinstimmender Ansicht der Experten allerdings wünschenswert wäre, ist eine grundlegende Verfassungsreform, deren Ergebnis ein einfaches Grundgesetz ist, ohne solche, allzusehr ins Detail gehenden Zusätze. Und, wie

Gerhart Holzinger, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, meint, ohne programmatische Erklärungen, die in der Rechtspraxis keinerlei Effekt haben, ^rie zum Beispiel die Verpflichtung zum umfassenden Umweltschutz.

Die Zeit wäre für eine solche Reform gerade günstig. Zum ersten feiert unsere Verfassung gerade ihren 120. Geburtstag - sie geht im Kern auf die Dezember- Verfassung der konstitutionellen Monarchie von 1867 zurück —, zum zweiten ist eine große Koalition mit ihrer Zweidrittelmehrheit gegenüber anderen Regierungsformen wesentlich im Vorteil.

Beispiele für grundlegende Verfassungsreformen gibt es aus einigen Bundesländern, wo es in letzter Zeit zu bahnbrechenden Neuformulierungen der Landesverfassungen kam. Ob es allerdings dazu kommen wird, ist fraglich. Die Experten erwarten sich von der neuen Großen Koalition eher das, was schon der alten in diesem Zusammenhang vorgeworfen wurde: Daß sie, wie es Mantl treffend formuliert, „statt Neues zu schaffen bei der Politik des Knopfannähens bleiben wird“.

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