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Der Wiener Stadtparkblick

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„Gott liebt den Fremden. Und du?" Unter diesem Motto stand der vergangene „Ausländersonntag" in den Kirchen von Österreich. Gottesdienste und Predigten, Bischofsworte und Veranstaltungen aller Art wurden in den Dienst der Sache gestellt. Die „Sache" war: der Mensch. Jeder Mensch, weiß, schwarz oder gelb, katholisch oder ungläubig, Europäer oder Zulu, Zigeuner oder Jude, trägt Gottes Antlitz, ist in Seine Hand geschrieben. Und doch scheint es, daß Gott allein sie alle liebt.

Die Fremdenfeindlichkeit, der Ausländerhaß vieler Österreicher, sollen nicht verharmlost werden. Tatsache ist freilich, daß so gut wie jedes Volk Angehörige anderer ethnischer Gruppen, ab einer bestimmten Stärke jedenfalls, mit Argwohn betrachtet, ablehnt oder gar haßt. Eine Umfrage des US-amerikanischen Medienkonzerns Times Mirror Center, die größte ihrer Art, die je in Europa durchgeführt wurde, hat unter 13.000 befragten Personen in zwölf europäischen Ländern (Österreich war nicht darunter) erschütternde Ergebnisse bloßgelegt.

Verhaßt sind mehr als andere noch immer Zigeuner: bei 91 Prozent der CSFR-Bewohner, 79 Prozent der Ungarn, 59 Prozent der Deutschen, 50 Prozent der Spanier. Juden werden in Polen (zu 34 Prozent), Rußland, Deutschland und in der Slowakei am stärksten abgelehnt, 77 Prozent der Franzosen sind für eine gewaltsame Abschiebung aller illegalen Einwanderer. Viele Polen widem Deutsche, viele Deutsche Polen an. Ungarn hassen Rumänen, Slowaken die Ungarn, Bulgaren lehnen Türken ab, Russen die Aserbeidschaner, Georgier und Armenier, Litauer die Polen und Russen, Franzosen die Nordafrikaner... Die Feindbilderlisten füllen lange Dateien.

Es könnte sein, daß, wie die Bezwingung einer Volkskrankheit nie ewige Gesundheit, sondern immer nur das Auftreten einer neuen Seuche provoziert, das Ende des Ost-West-Konfliktes die Energien für andere, neue (alte) Haßorgien freigesetzt hat. Ist unser Blick schon genügend geschärft für Gefahren, die nicht geringer sein mögen als jene, die von den schrecklichsten Waffen der Menschheit ausgehen, die jetzt im Stakkato-Tempo vernichtet werden sollen?

Im Wiener Akademietheater kann man derzeit mit Botho Strauss den Deutschen zuschauen, wie sie an ihrer Gegenwartsgeschichte vorbeiblicken, vorbeidenken, vorbeireden. Es fehlt ihnen der „gute Blick, der zivilisierende, der uns einen kleinen Innenhof mit Frieden erfüllt..." Nicht nur ihnen.

Die Länder der Europäischen Gemeinschaft beginnen aufzuwachen. Ein EG-Kommissar für Rassismusfragensteht zur Diskussion. Er wird viel zu tun haben. Der „Wiener Stadtparkblick" (Vilem Flusser), der durch andere Menschen durchschaut und durch teilnahmslose Leere tötet, wütet in aller Welt.

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