7210296-1992_28_04.jpg
Digital In Arbeit

Die deutsche Aufholjagd

Werbung
Werbung
Werbung

Die Einheit, die den Deutschen teuer ist, kommt ihnen teurer, als die verantwortlichen Politiker ahnten. Und der Aufschwung im einstigen SED-Staat wird länger dauern, als ursprünglich versprochen wurde.

Der Aufbau im Osten soll finanziert werden, ohne die sozialen Verhältnisse in Westdeutschland zu verschlechtern. Und die sozialen Verhältnisse im Osten sollen möglichst rasch dem westlichen Standard angepaßt werden.

Das geht nicht, sagen Experten, die etwas behaupten, was Politikern nie über die Lippen kommen würde: Im Westen Deutschlands wird es in Zukunft eher um die Umverteilung des Einkommensverlustes gehen, als um die Verteilung eines Zuwachses. Was das für das soziale Klima bedeutet, davon bekam man beim Streik der Öffentlichen Bediensteten eine Vorstellung.

Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident von Sachsen (CDU) und noch immer ein Querdenker, meint, daß rund 900 Milliarden Mark an Investitionskapital nötig wären, um in den neuen Ländern 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen und weitere vier Millionen alte Arbeitsplätze konkurrenzfähig zu halten. Im günstigsten Fall werde es bis zum Jahr 2000 gelingen, im Osten ein halb so großes Bruttosozialprodukt wie im Westen zu erwirtschaften. Und auch das würde nur möglich sein, wenn in den fünf neuen Bundesländern jährlich ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent erreicht werden könnte. Das war aber nicht einmal im Westen während der fünfziger Jahre möglich.

Kommt für Westdeutschland eine wohlfahrtsstaatliche Zäsur? Sind die Zielvorstellungen realistisch? Und was geschieht, wenn die propagierten Patentrezepte nicht funktionieren?

Es ist bemerkenswert, daß sich Kurt Biedenkopf, der auch die Gesetzmäßigkeiten im Westen aus eigener Erfahrung sehr gut kennt, mit kritischen Urteilen über seine ehemaligen Kollegen nicht zurückhält. Als Sprecher eines Teiles der ostdeutschen Bevölkerung warnt er davor, die Menschen in den neuen Bundesländern zu überfordern.

Ostdeutschland als Objekt eines Aufholprozesses, von dem sich jetzt schon abzeichnet, daß er nicht so Verlaufen wird, wie er projektiert wurde. Die Zweifel werden lauter, und eindringlicher werden auch die Fragen, ob die Bürger der neuen Bundesländer das auch so wollen: Ob sie sich wirklich identifizieren mit dem Lebensstil, der ihnen im Westen vorgelebt wird?

Das Ringen um den Preis der Einheit ist noch lange nicht zu Ende. Dabei stehen die Deutschen vor einer Herausforderung, die mit den probaten Mitteln der konventionellen Politik sicher nicht bewältigt werden kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung