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Auch Gläubige haben Rechte
Den Rechtsgrundsatz der Güterabwägung bringt Ex-Volksanwalt Kohlmai-er in die Diskussion um die Schulkreuze ein.
Den Rechtsgrundsatz der Güterabwägung bringt Ex-Volksanwalt Kohlmai-er in die Diskussion um die Schulkreuze ein.
Die Argumente der deutschen Verfassungsrichter sind logisch und juristisch schlüssig. Glaubensfreiheit hat zwei Seiten. So, wie niemand daran gehindert werden darf, seine Beligion auszuüben, soll auch kein Kind, das nicht Christ ist, gezwungen werden, „unter dem Kreuz zu lernen”. Da die Verfassungslage durchaus vergleichbar ist, meinen nun viele, auch unser Höchstgericht würde so entscheiden, wenn nun jemand Beschwerde erhebt. Also stünden jetzt eigentlich Schule und Kirche unter einem Damoklesschwert, welches nur herabzufallen brauche, um auch in Österreich die Grundrechte wiederherzustellen.
Vor einem solchen voreiligen Schluß kann nur gewarnt werden. So einfach liegen die Dinge nämlich nicht, wenn es um die Sicherung der in der Verfassung garantierten Freiheiten geht. Sie alle haben nämlich ihre Grenze dort, wo mit ihrer Durchsetzung in das gleichwertige Becht eines anderen eingegriffen würde.
Dann muß ein uralter, unsere gesamte Bechtsordnung beherrschender Grundsatz zur Anwendung kommen, nämlich die Güterabwägung. Für unser Problem bedeutet das ganz einfach: Wird durch die Schonung der nichtchristlichen Schüler vor dem Anblick des Kreuzes nicht das ebenso schützenswerte Becht der mehrheitlich christgläubigen Eltern und ihrer Kinder verletzt, ihren Glauben auszuüben, ihn zu lernen und zu bekennen?
Der österreichische Verfassungsgerichtshof unterzieht sich dieser Aufgabe der Abwägung schutzwürdiger Interessen stets mit großer Sorgfalt. Er würde dies im vorliegenden
Fall sicher wieder tun und er hätte dabei auch auf das Umfeld, also die Tatsachen, Bück-sicht zu nehmen, die ins Gewicht fallen - oder eben nicht.
Es wäre daher auch zu prüfen, wie sehr das Kruzifix an der Wand überhaupt die Freiheitssphäre jenes Kindes zu verletzen vermag, das nicht christlich erzogen wird, aber eben im kulturellen Umfeld lebt, das von diesem Glauben wesentlich mitgeprägt wurde.
Mag sein, daß die Hüter unserer Verfassung so entscheiden würden wie ihre deutschen Kollegen. Noch steht das aber keinesfalls fest. Es fehlt daher der Grund, eine kulturpolitisch bedeutsame Bege-lung nur deswegen in Frage zu stellen, weil ein Gesetz unseres nördlichen Nachbarn richterlicher Schelte verfiel. Wir sind bisher recht gut damit gefahren, uns nicht sogleich jedes Problem von dort mit Eifer auch selbst anzueignen. Besser ist, Gelassenheit zu bewahren und entbehrlichen Streit bleiben zu lassen.
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