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Soziale Sicherheit für die Bauern
Die Pflichtkrankenkasse für die Bauern kommt. Das klingt für manche gerade wie der totale Versorgungs- Staat ante portas. Und diese Kreise prophezeihen, daß wir im Begriff sind, wieder einen Meilenstein in Richtung auf den staatlichen Gesundheitsdienst abzustecken. Das gewisse Unbehagen ergibt sich wohl aus der Tatsache, daß nach den Gewerbetreibenden neuerlich ein Stand unter die Fittiche des sozialen Wohlfahrtsstaates gerät. Die letzte Bastion in unserer schon sehr zum Kollektivismus neigenden Gesellschaft — von einigen tausend Freiberuflern abgesehen —, nämlich das freie Bauerntum, „verkauft” einen Teil seiner Unabhängigkeit für die soziale Sicherheit. Ist der Kaufpreis äquivalent dem feilgebotenen Gut?
Grünet Proletariat?
Wir müssen uns darüber klar sein, daß die soziale Lage vieler Bauern — die „Furche” hat schon wiederholt darauf verwiesen — heute nicht besser ist als die der Arbeiter vor einer Reihe von Jahrzehnten. Am Vorabend der Integration droht sich in der bäuerlichen Bevölkerung ein „grünes Proletariat” zu bilden. Dafür sind kennzeichnend:
die oft ungeheure Arbeitsüberlastung, vor allem der Bäuerin.
die zunehmende Kinderarbeit und die relativ hohe Kindersterblichkeit,
das im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung und zur Arbeitszeit zu niedere Pro-Kopf-Einkommen,
die mangelnden hygienischen Verhältnisse,
der schlechte Gesundheitszustand,
die häufig nicht menschenwürdigen Wohnverhältnisse.
Eine Skala von unerfreulichen
Symptomen, die auf dien Großteil der Bergbauern, aber auch auf viele kleine und mittlere Bauern im Flach- und Hügelland zutreffen. Symptome, die auch die Integration der Landwirtschaft in der modernen Industriegesellschaft erschweren. Eine Reihe ineinander verzahnter Probleme harrt der Lösung. Dabei ist verständlich, daß die Besserung des Gesundheitszustandes der bäuerlichen Bevölkerung eines der vordringlichsten Anliegen darstellt. Das ist nicht zuletzt ein finanzielles Problem. Denn längere Krankenhausaufenthalte, schwere Operationen oder gar die Einlieferung in eine Heilanstalt, können einen kleinen und auch einen mittleren Bauern vor den finanziellen Ruin bringen. (Mit den Mehreinnahmen, die ein mittlerer Bauer durch die Milchpreiserhöhung erhält, kann er im Monat höchstens ein paar Tage Krankenhausaufenthalt finanzieren.)
Die „Riskengemeänschaft”, die die bäuerliche Familie früher für die Angehörigen darstellte, steht heute auf schwachen Füßen. Nicht nur aus finanziellen Gründen. Früher waren genügend Leute am Bauernhof; die längere Pflege eines Schwerkranken bereitete keine großen Schwierigkeiten. Heute? In vielen Höfen sind nur der Bauer, die Bäuerin und die Kinder vorhanden. Wer soll da die sachgemäße und die oft viel Zeit in Anspruch nehmende Pflege eines Kranken übernehmen? Es ist sicherlich nicht erfreulich, daß auch die bäuerliche Familie als Lebensgemeinschaft manche ihrer Funktionen an andere Institutionen abgeben muß. Die Pflege und Heilung im Krankenhaus, die Entbindung in der Klinik haben sicher manche Vorteile, aber es werden auch persönliche Werte eingebüßt.
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