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Dramatische Zuspitzung im Osten
Die Unruhe in den kommunistischen Ländern hat sich ins Unberechenbare gesteigert. Die heftigen Konflikte können zu einer Demokratisierung, ja zu einer substanziellen Veränderung der mit dem Namen „Sozialismus“ ausgestatteten Systeme führen, zugleich wächst die Gefahr offener, vielleicht blutiger Auseinandersetzungen.
Vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise versuchen die kommunistischen Führer in der Sowjetunion, in Jugoslawien, in Polen, in Ungarn und auch in Bulgarien freiere, marktorientierte Wirtschaftsstrukturen zu entwickeln. Damit ist notwendigerweise ein gewisses Maß an politischer Vielfalt verbunden. Die kommunistischen Parteien stehen vor der Frage: Wie kann Pluralismus verwirklicht, gleichzeitig aber die eigene Macht aufrecht erhalten werden?
Die Aussicht auf mehr Freiheit hat allerdings auch Kräfte der ethnischen Eigenständigkeit in Bewegung gesetzt. Die Völker des Baltikums, die Armenier und die Krimtataren fordern mehr nationale Rechte; die serbische Führung versucht die Unzufriedenheit in nationalistische Bahnen zu lenken.
Die Prozesse entgleiten der Kontrolle der kommunistischen Parteien ebenso wie den Planungen der demokratischen Kräfte.
Sollten die Kommunisten in Polen auf die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche und mit Solidarnosc weiterhin verzichten, ist mit dem Ausbruch einer heftigen Streikbewegung zu rechnen. Die Folgen sind unabsehbar.
Sollte der serbische Nationalismus die zentralen Organe des jugoslawischen Staates majorisie-ren wollen, werden die anderen Teilrepubliken Widerstand leisten. Eine Machtergreifung der Armee ist nicht auszuschließen.
Sollte in Ungarn die Forderung nach einem Mehrparteiensystem und nach einer radikalen Wirtschaftsreform durch Massenkundgebungen unterstützt werden, kann sich der gegenwärtige Konflikt dramatisch verschärfen.
Kompliziert wird die Lage durch den offenen Widerstand der DDR- und CSSR-Führung gegen Gorbatschows „Perestrojka“, dem in diesen Tagen der reformfreudige Ministerpräsident Lu-bomir Strougal zum Opfer fiel, durch Ceaucescus Diktatur des Wahnsinns.
Sollte Ungarn die Verletzung der Menschenrechte durch Rumänien vor die UNO-Generalver-sammlung bringen: Für welches Land werden die kommunistischen Staaten wohl Partei ergreifen? Und wie lange kann die sowjetische Führung dem Zerfall des osteuropäischen Staatensystems nahezu tatenlos zusehen?
Wir sehen in diesen Tagen die schöpferischen Kräfte der Geschichte am Werk. Aber der Prozeß der Demokratisierung ist konfliktreich. . Das neutrale Österreich muß sich auch der Gefahren bewußt sein.
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