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Politische Pornographie

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„Ich bitte, mir eine andere Frage zu stellen, weil ich wegen Bestreitung der Rechtsgrundlage der Regierungen Dollfuß, Schuschnigg und Seyß-Inquart nicht in der Lage bin, eine positive Begründung zu geben.“ Diese Antwort gab am 14. März 1938 in einem Hörsaal der Universität Wien bei einem Rigorosum ein Jus-student; an einem Tag, als die Verhaftungswellen der Gestapo bereits rollten.

Der Professor hatte den Kandidaten

gefragt: „Wie begründen Sie die

Rechtmäßigkeit des Anschlußgesetzes

vom gestrigen Tag?“

Und der Kandidat hieß Bruno

Kreisky.

Obwohl der Wahlkampf auf dem Höhepunkt ist, dürfen wir vor Doktor Bruno Kreisky, der in dieser Prüfung sein Doktordiplom errang, mit allem Respekt den Hut ziehen. Dieser Mann ist sich in einer Stunde persönlicher und politischer Hochspannung treu geblieben.

Dieser Mut weist Dr. Kreisky als Persönlichkeit mit Charakter aus, dieser Mut und diese Konsequenz qualifizieren ihn — ganz gleich, wie das Wahlergebnis ausgehen möge — für das höchste Regierungsamt im Staat.

Daß uns diese Episode des jungen Bruno Kreisky bekannt wurde, verdanken wir allerdings einem anderen Anlaß. Die „Deutsche National-Zeitung“ beschäftigt sich mit der Person des SPÖ-Obmanns unter dem Titel „Kreiskys schwedische Vergangenheit — Was trieb er in der Emigration?“ Der Artikel ist nichts anderes als unverhohlener Antisemitismus plus übelste Diffamierung.

Und damit sind wir am Kern: Noch immer darf dieses in Deutschland hergestellte Pamphlet in Österreich verkauft werden; und darf ungestraft in den österreichischen Wahlkampf eingreifen — immerhin mit Schlagzeilen, die dort lesbar sind, wo die „National-Zeitung“ aushängt Aber noch betrüblicher stimmt die Meldung der gleichen Ausgabe der „National-Zeitung“, in der das Ergebnis eines Wahlquizes veröffentlicht wird, demzufolge man auf die Leserschaft dieser Zeitung schließen darf. Denn 45,9 Prozent der Leser der „National-Zeitung“ wünschen eine Regierung aus ÖVP/FPÖ, 43 Prozent nur der ÖVP. Was beweist, daß diese Zeitung auch von zahlreichen Wählern (oder sogar Funktionären?) der ÖVP gelesen wird. Man muß die Parteien im allgemeinen — die Rechtsparteien aber im besonderen — warnen: Der Antisemitismus und der Appell an niedrigste Instinkte hat in diesem Wahlkampf nichts verloren. Die Führung der Volkspartei — so hört man aus der Kärtnerstraße — will nichts mit antisemitischen Äußerungen zu tun haben. Aber ein neuerlich-klä-rendes Wort der ÖVP-Führung täte gut.

Wahlkampf ist keine Kinderjause und soll es auch nicht sein. Aber Wahlkampf ist keine Freistilzeit politischer Geschmacklosigkeiten.

Und könnte auch eine Zeit der Überlegung sein, was in Zukunft geschehen soll. Da hätten wir einen Tip: Endlich eine Bereinigung des Problems der „Deutschen National-Zeitung“. Und damit ein Verbot politischer Pornographie.

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