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Macht durch Schwache

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Obgleich die Zahl der von den ägyptischen Sicherheitsbehörden wegen ihrer Beteiligung an den Studentenunruhen verhafteten Personen nach inoffiziellen Schätzungen das zweite Hundert überschritten haben soll, die Regierung die Vorverlegung der Semesterferien und die Einstellung des gesamten Lehrbetriebes anordnete und bewaffnete Polizeieinheiten die Universitätsgelände zernierten, steht Kairo noch immer im Zeichen der Studentenrebellion.

Ägypten treibt, wie diplomatische Beobachter fürchten, in eine Staats-kris^. Der Aufstand der Jungakademiker, der in der ägyptischen Öffentlichkeit großen Widerhall findet und vereinzelt bereits zu Angstkäufen führte, ist ein untrügliches Zeichen für das rapid gesunkene Prestige von Präsident Sadat. Obgleich er nach seinem Amtsantritt vor zweieinviertel Jahren seiner Bevölkerung eine ehrenhafte Lösung des Nahostkanfliktes im Äußeren, Liberalisierung und Konsumsteigerung im Inneren versprach, rügte er jetzt die um Pressefreiheit kämpfenden Journalisten des Landes wegen ihrer angeblichen geistigen Mittäterschaft an Unruhen, und könnte zudem in die unangenehme Lage kommen, seine Polizisten auf die unbewaffneten Jungakademiker schießen zu lassen.

Obgleich sowohl die rechts- als auch die linksgerichteten Studenten Kriegsparolen wegen ihrer vermeintlichen Popularität in den Vordergrund ihres Protestes rücken, hat die Rebellion vordergründig innerpolitische Ursachen. Obgleich in Ägypten noch immer etwa 60 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind, sah das nasseristische Regime im Ausbau der gehobenen Bildungsmöglichkeiten immer eine seiner wichtigsten Rechtfertigungen, und für die Nachkommen der nasseri-stischen Gesellschaftselite hat ein Universitätsstudium noch immer größten Prestigewert. Die Folge sind überfüllte Hörsäle, zu geringe Karriereaussichten für die Hochschulabsolventen, und das Entstehen eines akademischen Proletariates mit überdurchschnittlich hoher Anfälligkeit für linke und rechte Parolen. Diese Entwicklung war die wirkliche Ursache schon der ersten, kurz nach dem verlorenen Sechstagekrieg, aufgeflammten Studentenunruhen.

Die Regierung versuchte Abhilfe zunächst durch die Dienstverpflichtung arbeitsloser Universitätsabsolventen in die Armee. Dort sollten sie nicht nur ein leidliches Auskommen finden, sondern auch — wie man hoffte — diszipliniert werden. Doch die Exstudenten zogen nicht nur einen Teil des mittleren Offizierskorps auf ihre Seite, sondern indoktrinierten auch die einfachen Soldaten. Seitdem liegen viele Universitätsabsolventen wieder arbeitslos auf der Straße und beschäftigen sich vorwiegend mit der Gründung krypto-revolutionärer Grüppchen und der Einflußnahme auf ihre ehemaligen Mitstudenten an den Hochschulen. An den ägyptischen Universitäten gibt es heute wieder Kaderzellen sowohl der nur scheinbar aufgelösten KP und der in ihrem Schlepptau segelnden maoistischen und trotzkistischen Gruppen, als auch der rechts-reaktionären Moslem-Brüderschaft. Auf deren Agitation gehen übrigens auch die andauernden Schwierigkeiten zwischen christlichen Kopten und muselmanischer Mehrheit zurück.

Präsident Sadats Macht beruht'gegenwärtig nur noch auf der Schwäche seiner Gegner. Kein anderer Politiker möchte in der ausweglos scheinenden Lage das Erbe Gamal Abd el Nassers antreten. Doch sollte die Unruhe unter den jungen Intellektuellen auf die Arbeiterschaft und Teile des Offizierskorps übergreifen — und dafür gibt es bereits gewichtige Hinweise —, gerät der Staatschef in ernste Gefahr.

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