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„Maßloser Expansionskurs“

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Die Frage bleibt aktuell, ob gegen die anhaltende Geldentwertung gar nichts unternommen werden kann, ob denn wirklich Kreisky, Androsch & Co. recht haben, wenn sie kalt erklären, daß die Inflation importiert sei und man sich eben abrinden müsse.

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Die Frage bleibt aktuell, ob gegen die anhaltende Geldentwertung gar nichts unternommen werden kann, ob denn wirklich Kreisky, Androsch & Co. recht haben, wenn sie kalt erklären, daß die Inflation importiert sei und man sich eben abrinden müsse.

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Gerade in dieser Zeitung wird beständig auf das wirtschaftspolitische Fehlverhalten der Bundesregierung als wesentliche Ursache der rapiden Geldentwertung in Österreich hingewiesen, sei es, daß die maßlos expansiven Budgets des Finanzministers, die überproportionierten Erhöhungen von Tarifen und Preisen für staatliche Güter und Leistungen, oder aber die inflationseinladenden Versicherungen von Vertretern der Bundesreg'erung, man werde (in einer Phase der Überbeschäftigung) weiter eine Supervollbeschäftigungspolitik betreiben, recht kritisch aufs Korn genommen werden. In diesem Zusammenhang wurde auch die Geldpolitik der Nationalbank diskutiert und insbesondere die Expansion des Geldvolumens im vergangenen Jahr, in der Höhe von fast 17 Prozent, als stabilitätspolitisch bedenklich hingestellt.

Hat die Kritik Hand und Fuß? Soweit es sich um das Problem der internationalen Inflation handelt, ist die österreichische Nationalbank mehr oder weniger dazu verurteilt, nichts zu dessen Lösung beitragen zu können. Das Wort „weniger“ in dieser Feststellung soll besagen, daß eine der (wenigen) Möglichkeiten zur außenwirtschaftlichen Absicherung, die Änderung (Aufwertung) des Wechselkurses, derzeit nicht zur Debatte steht, obwohl ihr Effekt längst schon wieder zurückgenommen wurde. Eine andere Möglichkeit, die zinsenlose Veranlagung eines Gutteils der im Ausland aufgenommenen Kredite österreichischer Unternehmer bei der Nationalbank — eine Art Bardepotgesetz — wird begreiflicherweise von der Industrie und vom Kreditapparat abgelehnt. Theoretisch denkbar wäre noch die aktivseitige Kreditkontrolle heimischer Banken, um so den liquiditätspolitischen Spielraum einzuengen. Diese Maßnahme wird vom Kreditapparat, der dann seine Expansion bedroht sähe, abgelehnt. Da bei Wirksamkeit einer aktivseitigen Kreditkontrolle auch die kreditpolitischen Operationen des Bundes, der Länder und der Gemeinden einbezogen werden müßten, können auch diese Institutionen diesem massiven Instrument der Währungspolitik nur wenig Gefallen abgewinnen. Wesentlich nützlicher könnte die Einbeziehung der sogenannten „sekundären Finanzinstitute“ (Versicherungswirtschaft, Bausparkassen usw.) unter die liquiditätspolitischen Maßnahmen der Nationalbank sein.

Freilich enthebt das die Nationalbank nicht der Aufgabe, Regierung, Gewerkschaft und Unternehmen zu einer optimalen Stabilitätspolitik zu mahnen. Nationalbankpräsident Schmitz ist in zahlreichen Stellungnahmen dieser Pflicht immer wieder nachgekommen. Insbesondere in den „wirtschaftspolitischen Aussprachen“, die vierteljährlich im Rahmen der Paritätischen Kommission ausgetragen werden, hat Schmitz, auf die Ursachen und stabilitätspolitischen Konsequenzen der Inflation wiederholt hingewiesen. Schon Anfang 1972 hat er die Expansion der Nettomasseneinkommen im Jahre 1971 (plus 14,3 Prozent) als den „stärksten und anhaltendsten Zuwachs an Masseneinkommen seit 1956“ bezeichnet. Bei dieser Gelegenheit vertrat er auch die Ansicht, „daß die bloße Feststellung, die Teuerung sei 1971 in Österreich geringer gewesen als in den meisten westlichen Industriestaaten, vom gesamtwirtschaftlichen Standpunkt wenig befriedigt, dürfte sich doch diese Entwicklung schon in naher Zukunft zuungunsten Österreichs verändern“. Schon damals, im

Jänner 1972, fürchtete Schmitz, „daß Österreich 1972 stärkere Preissteigerungen haben wird als andere Länder“. Diese Prognose hat sich bereits nach dem ersten Halbjahr 1972 erfüllt, ohne jedoch die Regierung zu veranlassen, vom maßlosen Expansionskurs abzuweichen.

Ende Juni 1972 trat • der Nationalbankpräsident erneut als stabilitätspolitischer Mahner gegen die Regierung auf und wiederum traf er auf taube Ohren bei den Regierungsvertretern: Man kann über die Zweckmäßigkeit von lauten und in aller Öffentlichkeit ausgetragenen stabilitätspolitischen Diskussionen streiten und das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland spricht sicherlich nicht für eine solche Zweckmäßigkeit — anderseits aber „zieht“ die geräuschlose Tour beim breiten Publikum weniger. Ob Schmitz nur deshalb auch ein wenig Kritik an seinem Beitrag zur Stabilitätspolitik abbekam oder ob bewußt versucht wird, ihn zum „Komplizen“ der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu machen, ist ungeklärt. Sicherlich läge die Inflationsrate des ersten Halbjahres 1972 nicht bei 6 Prozent, wenn die Regierung die stabilitätspolitischen Mahnungen des Notenbankpräsidenten nur ein klein wenig ernster nehmen würde.

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