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Nicht nur Mayerling

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Auf das Stichwort „Kronprinz Rudolf erfolgt todsicher die Antwort: „Mayerling”. Das tragische Ende, die krampfhafte Geheimhaltung der Ursachen, die Vernichtung aller Unterlagen und damit verbunden die kolportagehafte Ausschlachtung des Dramas durch fast ein Jahrhundert, die Schwierigkeiten auch für den Historiker, sich über alle Ressentiments der Freunde wie der Gegner hinweg zu den Quellen-durchzuarbeiten - alles dies hat zusammengewirkt, daß eine der faszinierendsten Personen der ausgehenden Habsburgerepoche im Bewußtsein der Menschen nur noch als Thrillerfigur im Roman und Film existiert.

Brigitte Hamann stellt nicht nur diese Verzerrung richtig, sie setzt den Kronprinzen, den einzigen Sohn des Kaisers Franz Josef, in ein Zeitbild, das erst greifbar macht, was den Nachkommen hundert Jahre später sonst völlig unverständlich erscheinen müßte. Wer faßt es heute, daß ein Kind bis an den Rand der physischen und psychischen Existenz der Staatsraison unterworfen wird?

Die Autorin verfolgt das kurze Leben Rudolfs von Laxenburg über Wien und Prag bis nach Mayerling immer in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, den Erziehern, Beratern, Freunden und Feinden. Daß sie sich bei aller wissenschaftlichen, auch durch den zeitlichen Abstand erleichterten Objektivität mit seinen Ideen identifiziert, ist ebenso verständlich, wie daß dadurch Rudolfs Gegner teilweise in einem ganz andern, wesentlich kritischeren Licht erscheinen. Daß die aus Deutschland stammende Historikerin, die erst durch ihre Ehe zur „gelernten Österreicherin” wurde,

Rudolfs Sympathien zu Frankreich und damit verbunden seine Animositäten gegen Deutschland und dessen Spitzenrepräsentanten durchaus mitvollzieht, läßt so manches Klischee vergangenen Geschichtsunterrichts um so fragwürdiger erscheinen.

Nicht nur einmal kommt der Leser ins Träumen: Was wäre geworden, wenn Rudolf seinen Vater in jenen Jahren abgelöst hätte? Wenn Deutschlands Friedrich HI. nicht nach hundert Tagen gestorben wäre? Wenn der Kronprinz Gelegenheit bekommen hätte auszuführen, was er in Opposition zum Hof entwickelt hatte, den Viel-Völker-Staat als Vereinigte Staaten Europas? Aber solche Träume bringen nicht mehr als die späteren Kolportageromane über Mayerling. Die dreißig Lebenjahre des Rudolf dagegen sind Geschichte - aber ein Abschnitt der Geschichte, der von fähigen Historikern aufgearbeitet, wie wenige andere als Mahnung dienen könnte: so nie wieder!

Brigitte Hamann, die, vom Kern einer Dissertation ausgehend, fünf Jahre Archivforschungen investiert hat, um dieses Zeitbild zu zeichnen, hat hier das Engagement des Schriftstellers, die Identifikation mit seinem „Helden”, verbunden mit der Aufgabe des Historikers, zu zeigen wie es war, die Ereignisse zu schildern und zu werten. Nur so kann die erwähnte Mahnung wirksam, kann Geschichte direkt vermittelt werden.

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