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Analyse einer Tragödie

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KRONPRINZENMYTHOS UND MAYERLING-LEGENDEN. Von Emil Franzel. Verlog Herold. Wien-München. 1963. 91 Seiten. 28 Abbildungen. Preis 58 S.

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KRONPRINZENMYTHOS UND MAYERLING-LEGENDEN. Von Emil Franzel. Verlog Herold. Wien-München. 1963. 91 Seiten. 28 Abbildungen. Preis 58 S.

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„Er schweigt.

Und schweigen ist das größte Recht dei Toten.“

Diese Verse schrieb Robert Hamerlinį an der Bahre des Kronprinzen Rudolf. Doch das Schweigen des Toten selbsi machte zahllose Lebende um so beredte; mit ihren Deutungen des geheimnisvoller Selbstmordes, Deutungen, die rasch in di« unkontrollierbaren Dimensionen der Phantasie wuchsen und für die folgender Jahrzehnte gleichsam fa'iidlėn geistiger Preislagen vorrätig- waren, von der Gro- schenrömanvtrsion der unglücklich Liebenden bis zu pseudohistorischen Spekulationen über die politischen Hintergründe de; Tragödie, deren letzter Akt ein kleines schlichtes Jagdschloß im Wienerwald zun Schauplatz hatte, dessen Name wahrscheinlich bis zum 30. Jänner 1889 vielen Wienern kaum bekannt gewesen war. Jed« neue Mayerling-Theorie, jede „endliche Enthüllung“, wurde mit so viel Aploml publik gemacht, als sei nun ein große; Welträtsel gelöst. Der Kronprinzenmytho; gipfelte in den wildesten Gerüchten; di« verschiedensten Personen wurden als de; angeblich in Wahrheit am Leben geblie bene Rudolf identifiziert, und wir müsset dem Autor recht geben, wenn er in die sem Zusammenhang zu dem Schluf kommt, es sei verwunderlich, daß mar nicht auch Hitler schließlich für den wundersam veränderten Kronprinzen gehalter habe.

„Der Mythos ist unsterblich.“ Rudolf wird zur legendären Figur, deren Bild siel; für sentimentale Dienstmädchen ebensc verklärt wie für kühne politische „Neuerer“, die sich in bitteren Worten über die „morsche“ Monarchie des franzisko-jose- phinischen Bewahrungsgedankens ergehen. Jeder sucht sich bei der Deutung die ihm genehme Lesart. Doch wir wollen noch einen anderen Aspekt der Kronprinzentragödie nicht außer acht lassen: An jenem 30. Jänner 1889 geschah in einet Welt bürgerlich-liberaler, selbstbewußter Sicherheit eine Gewalttat, die in ihrer Kraßheit die Ereignisse des nächsten Jahrhunderts präfigurierte, wenn sie sich dazu auch des Inszene der Schauerromantik bediente. Der Tod des Thronfolgers in Sarajewo war Königsmord, wie er seit dem Altertum immer wieder verübt wurde, hatte klassisches Maß. In Mayerling aber erfolgte der Anschlag auf den Begriff der Majestät als letzte Ausformung der Reichsidee und der spanisch-habsburgischen Überlieferung nicht von außen; der Anwärter auf die Krone führte selbst den Streich! Rudolf stand den Verpflichtungen, die zu übernehmen er bestimmt war, dieser Summe eines jahrhundertealten geistigen und ethischen Erbes mit den Nerven und der psychischen Veranlagung der heraufziehenden Epoche Freuds und Strindbergs gegenüber.

Sehr prägnant arbeitet der Autor das Archetypische der Kronprinzentragödie an sich heraus, den schicksalsschweren Gegensatz zwischen den Generationen. „Und sie ist ebenso sehr eine Tragödie der Väter wie der Söhne." Ein Schlüssel zum Wesen und Charakter Rudolfs liegt wohl in der Tatsache, daß er eigentlich kein richtiger Habsburger war, sondern gewissermaßen ein österreichischer Wittels bacher mit der Unrast und Sprunghaftigkeit Elisabeths, der Neigung zu vulgären Vergnügungen, wie sie seinem Großvater, Herzog Max, eignete, und der verschütteten, maßlosen Seele Ludwigs II. Persönlich von bezwingendem Charme und wachem, beweglichem Geist weiß er sich schriftlich formvollendet auszudrücken. Erst posthum wird offenbar, daß er seine gewandte Feder nicht nur in den Dienst des von ihm geförderten repräsentativen Werkes „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wrt urtd Bild’ Stellte, sondern jahrelang inj „Wiener1 Tagblatt“ sehr radikale-Ar i-, kel über politische Fragen schrieb. Der Mythos ist schon bei den Zeitgenossen von der Gloriole des alleinseligmachenden „Fortschritt“ -Gedankens umstrahlt.

Emil Franzel gibt in seinem ausführlichen Essay eine dramatische Dokumentation, deren Dynamik nicht aus einer willkürlichen belletristischen Dialogisie- rung nach dem Muster der üblichen „Tatsachenberichte" entsteht, sondern aus der klaren, prägnanten Schilderung des historischen Ablaufs, akzentuiert durch die sehr gut ausgewählten Abbildungen. Das Titelblatt schlägt den Grundton des ganzen Buches an: das Kronprinzenpaar Arm in Arm, zu panoptikaler Haltung erstarrt. In diesem einen authentischen Bild liegt mehr innere Dramatik als in allen Standphotos aller Mayerling-Filme, die schon gedreht wurden oder noch gedreht werden. Der Autor stößt durch die dicke Schicht von Sensation und Kolportage zur Konstruktion der Tragödie vor, und die Hauptpersonen und Randfiguren treten dann von selbst vor uns hin: die exaltierte Baronesse Vetsera aus der üppigen Atmosphäre der Ringstraßen-Salons, Moritz Szeps, der politische Mentor des Kronprinzen, und die „Organe“ des Staates, die hier, ebenso wie beim Ringtheaterbrand — der ersten großen Massentragödie der neuen Zeit —, mit Verwirrung, Ratlosigkeit und Geheimnistuerei reagieren. Franzel enthält sich einer Erklärung der Motive für Rudolfs Freitod im Sinn einer „Enthüllung", einer Pointe. Sie sind für ihn und jeden Leser, der dieses Buch aufmerksam liest, evident.

Nicht von ungefähr mag in Erörterungen über den Kronprinzen der Name Hamlet fallen. Der Verfasser greift diesen Vergleich auf und zeigt am Schluß seiner Arbeit das Resümee seiner Betrachtung der widerspruchsvollen Persönlichkeit: „Er mag eine Hamlet-Natur gewesen sein, aber da nicht höhere Gewalt seinen Weg zum Thron unterbrach, sondern er selbst ihn nicht zu Ende zu gehen wagte, wird man ihm das Wort des Fortinbras nicht in die Gruft nachrufen können: ,Er hätte, wär’ er hinaufgelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt.* Was von ihm bleibt, ist Mythos, ungreifbar luftiges Gebild, von jenem Stoff, aus dem die Träume sind. Aber die Geschichte baut sich nicht nur auf greifbaren Tatsachen auf. Auch Mythen sind Geschichte, wenn sie Geschichte machen. Der Mythos von Kronprinz Rudolf bannte durch Jahrzehnte hunderttausende Österreicher in das überholte Geschichtsbild des Liberalismus. So ist dieser Mythos, der um Mayerling und die Kapuzinergruft schwebt, ein Stück österreichischer Geschichte geworden.“

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