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Noch ist die Welt nicht reif

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Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewalt. Ob es sich um Konflikte zwischen Staaten oder Bevölkerungsgruppen handelte, meist galt in der Vergangenheit das Recht des Stärkeren. „Die Politik kommt aus den Gewehrläufen“, mit diesem Satz hat Mao treffend die politische Realität unseres Jahrhunderts charakterisisert.

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Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewalt. Ob es sich um Konflikte zwischen Staaten oder Bevölkerungsgruppen handelte, meist galt in der Vergangenheit das Recht des Stärkeren. „Die Politik kommt aus den Gewehrläufen“, mit diesem Satz hat Mao treffend die politische Realität unseres Jahrhunderts charakterisisert.

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Immer wieder jedoch hat es Menschen gegeben, die versucht haben, den scheinbar logischen Zusammenhang zwischen Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen. Ein Jesus, ein Ghandi, ein Martin Luther King haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens versucht, ungerechte Zustände zu änderen, ohne das Blut von Mitmenschen zu vergießen.

Versuche dieser Art haben in unserem Jahrhundert greifbare politische Erfolge errungen: Indien wurde in die Unabhängigkeit entlassen. Die

Rassendiskriminierung in den USA geht zurück. Es zeigt sich also, daß sich ungerechte Zustände auch ändern lassen, indem man den Unterdrücker überzeugt, anstatt ihn zu überwinden. Gewaltlosigkeit ist nicht passive Hinnahme des Unrechts, sondern mutiges Eintreten für Recht und Freiheit.

Die wichtigste Waffe des gewaltlosen Kampfes ist der Dialog. Der „Gegner“ soll aus seiner Abwehrhaltung herausgeführt und damit die Möglichkeit geschaffen werden, mit ihm gemeinsam Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.

Wenn er sich beharrlich der Wahrheit verschließt, wenn er jede Zusammenarbeit ablehnt, dann erst dürfen die schwereren Kaliber des gewaltfreien Kampfes eingesetzt werden: die direkte Aktion und schließlich der zivile Ungehorsam, die Nonkooperation.

Die direkte Aktion versucht das bestehende Unrecht öffentlich aufzuzeigen und damit einen Meinungsbildungsprozeß einzuleiten, der zu einer Verbreitung der Basis des gewaltlosen Kampfes führt.

Zu den Formen der direkten Aktion gehören: Kundgebungen in den Massenmedien, Flugblätter, Wandzeitungen, Demonstrationen, Unterschriftenaktionen u. a. Der gewaltfreie Charakter dieser Aktionen muß besonders sichergestellt werden durch die richtige Wahl der Slogans und Darstellungen sowie durch die Disziplin und die seelische Festigkeit aller Beteiligten.

Das heikelste Instrument des gewaltlosen Kampfes ist der zivile Ungehorsam. Zivilen Ungehorsam leisten heißt, sich kollektiv zu weigern, ungerechte Gesetze und Verodnun-gen zu befolgen, um damit dem herrschenden Unrechtssystem den Boden zu entziehen.

Die Methoden des zivilen Ungehorsams stehen bereits im Grenzbereich zwischen gewaltloser und gewalttätiger Aktion. Daher sollen diese Maßnahmen nur als äußerstes, letztes Mittel und erst nach reiflicher Überlegung eingesetzt werden.

Alle diese Aktionen sind zwar sicher schon etwas besser als brutale Gewaltanwendung, ihr Einsatz allein macht jedoch noch nicht den gewaltlösen Kampf im christlichen Sinne aus: ohne ethische Grundlage sind solche Aktionen nichts anderes als ein - freilich subtiles - Mittel politischer Erpressung. Im wahrhaft christlichen Weg des gewaltlosen Kampfes müßte es sogar einmal vorkommen können, daß im Lauf eines Dialoges die Partei, die Reformen fordert, den Kampf abbricht, weil sie sich davon überzeugt hat, daß der andere Konfliktpartner recht hat.

Die Verfechter des gewaltlosen Kampfes weisen nicht ganz zu Unrecht immer wieder auf die Tatsache hin, daß das österreichische Bundesheer in seiner heutigen Form wohl kaum in der Lage ist, einen potentiellen Aggressor wirklich abzuschrek-ken. Ist es nicht überhaupt sinnvoller, einem solchen eventuellen Gegner klarzumachen, daß er, wenn er Österreich besetzt, nicht auf die geringste Kooperation seitens der Bevölkerung rechnen kann, anstatt ihm mit unzulänglichen Waffen entgegenzutreten?

Ich möchte hier meine Meinung über diesen Plan nicht darlegen. Stattdessen will ich nur kurz auf das Beispiel der Besetzung der CSSR im Jahre 1968 hinweisen; es wird dem Leser vielleicht verständlich machen, weshalb ich in Bezug auf die Möglichkeit gewaltloser Landesverteidigung äußerst skeptisch bin.

Wir haben es alle miterlebt, als die Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einfielen, Die Bevölkerung hatte keine Waffen, um sich zu wehren; sie versuchte es mit gewaltlosem Widerstand. Immer wieder wurde versucht, das Gewissen der Besatzungssoldaten wachzu-rütteln. Diese Versuche gipfelten in der spektakulären Selbstverbrennung des Jan Palach.

Der Erfolg war gleich Null: zwar fühlten viele der Soldaten Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns aufsteigen, doch sie gehorchten den Befehlen, die ihnen von der Führung gegeben wurden. Die CSSR wurde brutal geknebelt, gleichgeschaltet, gewaltsam in den Ring der Satellitenstaaten Moskaus wiedereingegliedert. Der „Prager Frühling“ fiel einem Furchtbaren Frost zum Opfer, und kein gewaltloser Widerstand konnte das verhindern.

Sicher ist unsere Welt noch nicht reif für die umfassende Anwendung der Methode des Friedens. Man muß das Beispiel CSSR genau analysieren; es mahnt zur Vorsicht, berechtigt uns aber noch nicht dazu, den Weg des Friedens einfach als Hirngespinst einiger Phantasten abzutun.

Als Christen ist uns die Aufgabe gestellt, Gewaltanwendung, wann immer dies möglich ist, zu unterlassen. Wer eine Handlung der Gewalt setzt, ohne in Notwehr zu handeln, begibt sich ins Unrecht; wer aber das Vorhandensein solcher Notsituationen leugnet, begibt sich in die Gefahr, als „nützlicher Idiot“, als Werkzeug zynischer Unterdrücker mißbraucht zu werden.

Dieser, aus Platzgründen leider empfindlich gekürzte Beitrag, stammt aus der Kalksburger Schülerzeitung ,felk>w“

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