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Reformator - ohne Erfolg

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Vor 450 Jahren — am 31. August 1522 — wurde der aus Utrecht stammende Hadrian Florisz, der letzte deutsche Papst, im Fetersdom gekrönt. Seine Zeitgenossen und spätere Generationen verachteten ihn. Die Forscher haben uns sein Charakterbild vermittelt. Heute gehört er zu den verehrungswürdigsten Päpsten. Die Restauration der katholischen Welt ist mit dem Namen Hadrians verbunden. Er hatte allerdings den päpstlichen Stuhl zu spät bestiegen, um die Neuerung zu bannen, und war zu früh (am 14. September 1523) gestorben, um ihr wirksam zu begegnen.

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Vor 450 Jahren — am 31. August 1522 — wurde der aus Utrecht stammende Hadrian Florisz, der letzte deutsche Papst, im Fetersdom gekrönt. Seine Zeitgenossen und spätere Generationen verachteten ihn. Die Forscher haben uns sein Charakterbild vermittelt. Heute gehört er zu den verehrungswürdigsten Päpsten. Die Restauration der katholischen Welt ist mit dem Namen Hadrians verbunden. Er hatte allerdings den päpstlichen Stuhl zu spät bestiegen, um die Neuerung zu bannen, und war zu früh (am 14. September 1523) gestorben, um ihr wirksam zu begegnen.

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Hadrian Florisz, Sohn eines Handwerkers, war mit 17 Jahren nach Löwen gekommen, studierte Philosophie und Theologie, wurde in der Folge Professor und schließlich Rektor der Universität. Er entfaltete eine reiche schriftstellerische Tätigkeit und gründete aus den Einkünften mehrerer Kirchenpfründen ein Kolleg für arme Studenten. 40 Jahre lang wirkte er in Löwen, wo ihm unter anderem die Erziehung des in Gent geborenen Erzherzogs Karl, des späteren Königs von Spanien und Kaisers Karl V., oblag. Dann zog er nach Spanien, wo er zunächst zusammen mit Kardinal Ximenes (und nach dessen Tod allein) die Regierungsgeschäfte wahrnahm und sich eifrig um die religiöse Erneuerung bemühte. Sein siebenjähriger Aufenthalt in Spanien brachte dem bescheidenen und sittenstrengen Hadrian einen kometenhaften Aufstieg: 1516 Bischof von Tortosa, 1517 Kardinal und im gleichen Jahr Inquisitor von Aragonien und Novarra, 1518 auch Inquisitor von Kastilien und Leons. Während der Krönungsfahrt Karls V. führte er die Regentschaft und brach durch Klugheit dem allgemeinen Aufstand in Kastilien (1520 bis 1522).

Am 9. Jänner 1522 wurde er — obwohl fern von Rom — wegen seiner Heiligkeit und Gelehrsamkeit (und wohl auch wegen seiner Freundschaft mit Karl V.) einstimmig zum Papst gewählt. Er trat die Nachfolge des Mediceers Leo X. an. Im August traf Hadrian, der als Papst seinen Taufnamen beibehielt, in Rom ein.

Seine Hauptaufgaben sah Hadrian in der Zurückdrängung der Reformation durch eine umfassende und ernsthafte Erneuerung der Kirche, namentlich der römischen Kurie, sowie in der Einigung der christlichen Mächte Europas gegen die Türkengefahr. Hadrian hatte gleich sein Regierungsprogramm in die Tat umsetzen wollen; während mehrerer Monate konnte er so gut wie nichts unternehmen, da eine Pestepidemie fast alle Römer aus der Stadt vertrieben hatte.

Zunächst verwendete Hadrian seine ganze Energie, die untereinander zerstrittenen Herrscher Frankreichs, Spaniens und Englands zu einer gemeinsamen Front gegen die immer bedrohlicher vorrückenden Türken zu bewegen. Die Insel Rhodos war im Sommer 1522 gefallend Die Türken waren damit zu einer unmittelbaren Gefahr für Sizilien und Westeuropa geworden. Franz I., Karl V. und Heinrich VIII. waren aber derart mit der Verteidigung ihrer Länder und internen Zänkereien beschäftigt, daß es Hadrian erst unter Androhung der Exkommunikation gelang, einen dreijährigen Waffenstillstand durchzusetzen. Die Allianz gegen die Türken kam aber nicht zustande.

Ein weiteres großes Anliegen Hadrians war es, durch die Reform der römischen Kurie, deren Korruption und Ausschweifung das Aufbegehren Luthers mitverursacht hatte, der Ausbreitung des Protestantismus Einhalt zu gebieten. Hadrians Vorgänger, Leo X., der Ästhet und Mäzen aus dem bedeutendsten Florentiner Adelsgeschlecht, hatte sich in den zwölf Jahren seines Pontifikats mit einem riesigen Hofstaat umgeben, zu dem nicht nur Kardinäle, Bischöfe und Prälaten, sondern auch Schauspieler, Musikanten, Dichterlinge, ja sogar Elefantenwärter und Hofnarren zählten, mit denen (wie ein zeitgenössischer Chronist vermerkt) der Papst selber „höchst alberne Spaße zu treiben liebte“. Die verweltlichte Kurie sah deshalb mit Unbehagen den ernsten Hadrian als Nachfolger des allgemein beliebten, heiteren Genießers Leo in den Vatikan einziehen. Als der Asket Hadrian sich dann anschickte, den Unsummen verschlingenden Hofstaat zu verkleinern, die schmarotzenden Poeten und Musikanten zu entlassen und die käuflichen Ämter (deren Zahl unter Leo auf mehr als 2000 gestiegen war ) abzuschaffen, da schlug die Antipathie der Kurie gegen Hadrian in offenen Haß um. Ihn focht es nicht an. Er nahm den Kardinälen und höheren Hofbeamten zahlreiche Privilegien, die seine Vorgänger gegen klingende Münze bereitwillig ausgeteilt hatten. Er forderte sie auf, ihren Lebensstil zu vereinfachen und „alle verdächtigen Elemente“ aus ihrer Umgebung zu entfernen, wobei er nicht bloß die Geliebten der Prälaten im Auge hatte, sondern ebenso die politischen Intriganten. Die Kurie, die an die unbeschwerten Zeiten Leos X. gewöhnt war, brachte kein Verständnis für die Notwendigkeit der von Hadrian geforderten Reformen auf. Seine Lauterkeit und sein Gerechtigkeitssinn waren in ihren Augen bloß übertriebener Idealismus, seine Weltfeindlichkeit nur unchristlicher Pessimismus. Hadrian war aber überzeugt, daß einer wirksamen Läuterung des Leibes die Reinigung des Hauptes vorausgehen müsse. So hielt er unbeirrt an seinen Plänen fest.

Kein Papst hat nach Hadrian so offen und so demütig die Sittenverderbnis am päpstlichen Hof zugegeben und die katholische Mitschuld an der Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts eingestanden. Dennoch blieben seine Reformvorhaben weitgehend auf dem Papier, weil er — wie übrigens die meisten seiner Nachfolger — Macht, Methoden und Geschicklichkeit der Kurie unterschätzte. Außerdem ließ sich ein so umfassendes und verwickeltes Projekt wie die Erneuerung der Kurie nicht in den wenigen Monaten, die ihm zur Verfügung standen, verwirklichen, selbst wenn er Zustimmung und Mitarbeiter gefunden hätte. Hadrian bestieg den päpstlichen Thron zu spät, um die um sich greifende Reformation zu bannen, und er starb zu früh, um ihr durch eine katholische Reform wirksam zu begegnen. Äußerlich betrachtet, hat Hadrian in der kurzen Zeit seines Pontifikats nichts erreicht; ja es gleicht einer ununterbrochenen Kette von Enttäuschungen und Rückschlägen.

Bei seinem Tod, am 14. September 1523, sind die christlichen Fürsten Europas so zerstritten wie bei seiner Thronbesteigung, und die Kurienreform ist mehr Wunsch als Wirklichkeit. Dennoch ist Hadrian VI., trotz aller Schwierigkeiten und Mißerfolge, ungeachtet aller Intrigen und Niederlagen, unerschütterlich den Weg gegangen, den er als ihm von Gott vorgezeichnet erkannt hatte. Darüber hinaus hat er wertvolle Anstöße gegeben, die einige Jahrzehnte später ihre Früchte bringen sollten: 1576 wird die türkische Flotte bei Lepanto vernichtend geschlagen. Im Dezember 1545 tritt in Trient das große Reformkonzil zusammen, das die Erneuerungspläne Hadrians weitgehend übernimmt und durchführt.

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