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Am Totenbett des „Teufels“

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Für die Mitlebenden der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit hieß nicht nur der Hauptberater und Finanzmann des französischen Königs Ludwig XI. „der Teufel“. Auch der König selbst erschien ihnen als eine dämonisch beherrschte Figur. In ihm war, lange bevor Macchiavelli sein Buch „vom Fürsten“ schrieb, das heraufkommende Herrscherideal zum erstenmal rein verkörpert. Die Geschichte nennt ihn mit Recht einen tüchtigen Monarchen, den Schöpfer des französischen Zentralstaates, den er mit brutaler Energie gegen alle Widerstände des Althergebrachten verwirklichte. Ein skrupelloser Politiker, der sich von noch skrupelloseren Celdleuten beraten ließ.

Die Umwelt atmete auf, als die Kunde von seinem bevorstehenden Ende eintraf. Zugleich mit dieser Botschaft erreichte den Papst eine Bitte: Der König verlangte nach einem Priester, der ihn auf das Sterben vorbereiten sollte. Gewiß hatte er Hofbeichtväter und devote Kapläne genug. Aber wie sollte er vor ihnen Respekt empfinden? Er hatte sie oft genug gedemütigt und zu geistlichen Lakaiendiensten gezwungen. Er wollte auch keinen der hochmögenden Prälaten um sich sehen, weder aus Frankreich noch aus Rom. Er hatte mit ihnen zeitlebens als feilschenden und intrigierenden politischen Partnern oder Gegnern zu tun gehabt. Sixtus IV., ein Mann herrscherlicher Entschlüsse, als Renaissancefürst mit einem gewissen Verständnis für den Wunch des „AUerchrist-lichsten“ Königs begabt, dachte nicht lange nach: Er hatte den Mann. Der Eremit Franz von P aol a (Paula) in Süditalien, der ihm erst vor einigen Jahren die Bestätigung seines neuen Reformordens vorgelegt hatte, lebte mit seinen Einsiedlerbrüdern in Cosenza. Er hatte den Orden des heiligen Franziskus gewählt, aber selbst bei den Minoriten noch die Versuchung zum Hochmut verspürt. So nannte er seinen Ordenszweig den der Minimen, der Kleinsten der Kleinen. Ohne seine Absicht war der ganz schlichte Klosterbruder aus dem armen Kalabrien zum Gegenbild einer Zeit geworden, die sich politisch im König der Franzosen symbolisierte. Der immer absoluter werdenden Macht, der Proklamation des Herrscherwillens, losgelöst von allen Gesetzen, stand hier die eben absolute Demut, die freiwillige Ohnmacht des „kleinsten Bruders“ gegenüber. Im Gehor-

sam gegen den päpstlichen Spruch zog Franz von Paola in die französische Residenz. Niemand war Zeuge bei den langen Nachtgesprächen am Krankenbett des dämonischen Autokraten. Niemand hat Einblick in die Seele Ludwigs gewonnen, als sie' schließlich heimkehrte. Aber <n diesen Nächten rangen die „Geister in den Lüften“ mit, die diesem neuen Weltalter das Gesicht geben sollten. Um einer einzigen Seele willen hatte Franz von Paola ohne zu zögern die „99 Gerechten“ seiner kleinen Ordensfamilie für Jahre allein gelassen. Er kehrte zu ihnen zurück und starb in ihrer Mitte. Schon kurze Zeit nach seinem Tod sprach ihn ein Papst der Renaissance, Leo X., heilig im Jahre der beginnenden Reformation. Mit seiner Paulanerfamilie feiert ihn die Kirche am 2. April.

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