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Reformismus, Nationalismus

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Nicht allein die nahezu schwin- delerregenden Aufbrüche bei unse- ren östlichen Nachbarn, nicht al- lein die traditionelle Rolle Öster- reichs in Hinblick auf die Bezie- hungen zu den Nachfolgestaaten der Monarchie sollten für das Symposion „Wandel in Mitteleuro- pa" an der Kremser Landesakade- mie ausschlaggebend sein.

Auch wenn das „Internationale Zentrum für kulturelle Zusam- menarbeit im mitteleuropäischen Raum" in Krems der Wissenschaft und der Kultur seine primäre Auf- merksamkeit zuwendete, konnte nicht ausbleiben, daß bald die Po- litik in den Mittelpunkt gelangte. Dafür sorgte bereits der provozie- rende Vortrag von Janusz Korwin- Mikke aus Warschau, dessen Titel „Der Sieg des Kommunismus in Mitteleuropa" zunächst befrem- dend wirken mochte.

Korwin-Mikke, Chef der liberal- konservativen Partei für Realpoli- tik, ließ auch keinen Zweifel daran, daß er den derzeitigen Reformis- mus in Polen in Wahrheit weiter sozialistisch orientiert sehe. Nicht einmal eine soziale Marktwirtschaft wollte Korwin-Mikke zulassen. Bei freien Wahlen in Polen würden die konservativen Parteien einen eben- so überwältigenden Zusprach be- kommen, wie dies kürzlich in der DDR geschehen ist. Korwin-Mikke forderte einen radikalen Umstieg auf eine völlig freie Marktwirt- schaft für Polen und wies sogar ausländische Geld- und Kredithil- fe zurück, da diese das „sozialisti- sche Faulbett" nur noch perpetuie- ren würde. Korwin-Mikkes Be- fürchtung eine Weiterführung der Entwicklung mit Vertretern der kommunistischen Parteien an den Schaltstellen könnte Polen in ein Desaster führen, blieb freilich nicht unwidersprochen.

Der Solidarnos'c- Vertreter Jacek Bochenski betonte, daß Polen nur in der Alternative zum Kommunis- mus und in der langsamen Ent- wicklung zu einer sozialen Markt- wirtschaft eine Chance haben könn- te. Freilich ließ Bochinski durch- blicken, daß die derzeitigen Folge- erscheinungen der Wirtschaftsre- form eine Phase der Entbehrungen und Schwierigkeiten mit sich brin- ge, die möglichst rasch überwun- den werden müßte.

Dieser politische Paukenschlag bildete sozusagen den politischen Grundrahmen, in dem sich die weiteren Gespräche und Diskus- sionen zur Kultur, zur Wissenschaft und Forschung hinsichtlich Mittel- europas abwickelten. Hatte bereits Landeshauptmann Siegfried Lud- wig in seiner Eröffnungsrede auf die wichtige Rolle Österreichs ver- wiesen, so wurde diese Herausfor- derung an Österreich zunehmend deutlicher: denn als zweite grund- sätzliche Problematik für die zu- künftige Entwicklung in Mitteleu- ropa stellte sich der Nationalismus heraus.

Nicht nur die anwesenden Un- garn (György Litvan und Endre Kiss) warnten vor einem neuen nationalistischen Fundamentalis- mus, der die Demokratisierung in Mitteleuropa ernsthaft in Gefahr bringen könnte. Die Suche nach einer neuen Identität, die sich nicht allein durch die Unsicherheit der politischen Begrifflichkeiten aus- drückt sondern auch im nationalen Raum, könnte man insgesamt wohl vielleicht neben der ökonomischen Problematik als eines der größten Probleme der derzeitigen mitteleu- ropäischen Situation betrachten. Dabei wurde immer wieder betont, daß niemand Patentlösungen be- reit haben kann und daß auch nicht eine rasche und tragfähige Demo- kratisierung nach westlichem Muster erhofft werden dürfte.

Diese Nüchternheit, die die Krem- ser Diskussion angenehm von der Mitteleuropa-Nostalgie oder Mit- teleuropa-Euphorie abhob, wurde noch deutlicher, als Mitteleuropa als Thema der Forschung disku- tiert wurde. Wie notwendig es dabei sein wird, den auch auf Österreich zugeschnittenen Mitteleuropa- Gedanken von allen Renaissancen deutscher Mitteleuropa-Ideologie abzuheben, wurde übereinstim- mend von allen Teilnehmern be- tont. Dabei zeigte sich (so Arnold Suppan, Andrej Mitrovic und Ge- orges Castellan), daß trotz einer in den letzten Jahren verstärkten wissenschaftlichen Aktivität in Hinblick auf die Frage Mitteleuro- pas mehr als genügend „weiße Flec- ken" in diesem Bereich bestehen.

Mitteleuropa-Forschung müsse dazu beitragen, die zukünftige politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung dieses Raumes zu fördern. Auch wenn man nicht soweit gehen will, wie der Komparatist Zoran Konstantino- vic (Innsbruck-Belgrad), der ein „Kremser Programm" in Anklang an das Kremsierer Programm von 1849 forderte, bleibt doch der For- schungsgegenstand Mitteleuropa in mannigfacher Hinsicht faszinie- rend und wesentlich.

Emil Brix, Leiter des Internatio- nalen Zentrums für kulturelle Zusammenarbeit im mitteleuropäi- schen Raum in Krems, konnte dar- um die Bilanz ziehen, daß die Mit- teleuropa-Forschung und die mit- teleuropäische Zusammenarbeit eine wesentliche Aufgabe für Wis- senschaft, Kultur, Politik und Ökonomie in den nächsten Jahren darstellen wird.

Der Autor ist Professor für Philosophie in Wien und wissenschaftlicher Leiter der NÖ. Landesakademie in Krems.

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