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Schicksalsfragen des Jahrhunderts

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Im vierten Band von Fritz Hochwälders Dramen finden wir zwei Stücke, die einen gewichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit darstellen. Was dieses Werk aber von der durchorganisierten Großaktion unterscheidet, mit der Massenmedien oder staatliche Institutionen das Jahr 1945 und die mit ihm zu Ende gegangene Epoche bedacht haben, ist die Tatsache, daß Fritz Hochwälder - selber leidtragender Augenzeuge der Ereignisse — als Charakter- und Dramengestalter in der Identifikation des

berufenen Dichters mit den Menschen, mit ihren Ideen und Irrtümern, mit ihren Schicksalen und Verhängnissen mitlebend und mitleidend, nicht jene Trennschärfe zwischen Schuld und Unschuld akzeptieren kann, welche die Grundvoraussetzung für Urteile und Verurteilungen liefert.

Daß Hochwälders Beitrag zur Zeitgeschichte um vieles mehr kompetent ist als die meisten Meinungsäußerungen derer, die sich dazu berufen fühlen, kommt auch daher, daß die beiden Stücke unmittelbar mit der Zeit nichts zu tun haben. Sie behandeln geschichtliche Modelle, immer wiederkehrende Phänomene; „Die Prinzessin von Chimay" hat Ereignisse zwischen 1789 und 1832 zum Inhalt. Die „Bürgschaft" behandelt — angeregt von Schillers Ballade — den Konflikt zwischen Geist und Macht in Form einer antik verkleideten Satire.

Nicht durch Überlegungen der Sich-überlegen-Fühlenden, nicht durch advokatives Reden und kritisches Erörtern führt uns Fritz Hochwälder an die Ungeheuerlichkeiten unseres Jahrhunderts heran. Seine Methode ist die des dramatischen Vorgangs, bei dem es weniger darauf ankommt, was die Figuren einander sagen als wie sie existentiell zueinander stehen.

Die Prinzessin von Chimay sollte in den Wirrnissen der Französischen Revolution ermordet werden. Vierzig Jahre später zittert sie noch immer vor dem Dolch des potentiellen Mörders, mit dem sie — ohne es zu wissen — an einem Tisch sitzt und mit dem sie — nachdem sie es weiß - allabendlich zu einer Partie Whist zusammenkommt. Denn „was nützt Ra-

che nach einem Menschenalter?" fragt ihr Diener Joseph. Nur so und nicht anders darf Goethes „Iphigenie", das Schauspiel von der offenen Wahrheit, heute aussehen. Fritz Hochwälder hat Kraft, Mut und Können, um dies überzeugend darzustellen.

Auch „Die Bürgschaft" handelt davon, wie schwer es die abstrakte Gerechtigkeit und die konkrete Rache miteinander haben. Was in Schillers Ballade als feinsinnige Linienkunst flächig gezeichnet ist — der Gegensatz von Hochzeit und Kreuzigung, die private Verantwortung des Attentäters für seine Schwester und die öffentliche Pflicht, welche vor dem Mord nicht zurückschreckt —, all das erhält in der Bühnenhandlung bei Hochwälder noch eine weitere, eine dritte Dimension. Denn die „Hochzeit der Schwester" ist nur ein Kennwort für die Bluthochzeit, die nach dreitägiger Frist dem Tyrannen bereitet werden soll.

Der Tyrann wäre nun freilich keiner, hätte er das nicht sofort durchschaut. Aber zu den Methoden der Mächtigen gehört auch die Verstellung, um ihre Stellung zu behaupten. Zu all dem sagt der Bürge: Nein. Und dies führt -trotz der Treue des Freundes und dessen Opferwillen — zu seiner Kreuzigung. Der Schillersche Reim „Den Bürgen erwürgen" kommt zu seinem existentiellen Recht, weil der Bürge für den Geist schlechthin auf dieser Welt bürgen möchte, für einen Geist, der von Schuld ebenso unbefleck-bar ist wie von Macht; das aber bedeutet: Das Kreuz auf sich nehmen. Für den letzten Akt verlangt Fritz Hochwälder ein Szenenbild, das der Kreuztragung Pieter Bruegels d. Ä. entspricht.

Zwischen diesen beiden Stük-ken, deren Inhalt der tragische Prozeß gesellschaftlicher Veränderungen ist, steht „Der verschwundene Mond", ein Märchenspiel vom Scheitern dessen, der die Menschenwelt in ihrem Wesen verändern möchte, also vom Scheitern des Dichters. Fritz Hochwälder, der dem Welttheater entscheidende Stücke und Impulse gegeben hat, reicht uns in diesem Band eine Gabe, die zum Reifsten und Bedeutendsten gehört, das Österreich in den letzten Jahren auf diesem Gebiet hervorgebracht hat.

DRAMEN IV. Von Fritz Hochwälder. Mit einem Nachwort von Hans Weigel. Verlag Sty-ria, Graz 1985. 138 Seiten, geb.. öS 198,-.

les; man hatte auf Reisen zu gehen, zu Damen zu gehen, ins Kaffeehaus zu gehen, arbeiten zu gehen, aber doch nicht zu den Idioten und'Popanzen und Geldmachern der Kunstszenerie. Und also blickten die vom Gefühl ihrer eigenen Minderwertigkeit zu Recht geplagten Kunstkünstler an dem als harmlos erkannten, gar nicht mitkämpfenden Gar-nicht-Konkurrenten vorbei, und die Meisterlein des kühlen Kalküls, die sich einbilden, im Kunstbetrieb wie auf einem Rangierbahnhof die Weichen stellen zu können, riskierten sogar so etwas wie ein freundlich mitfühlendes Kumpanenlächeln.

Seine Einsamkeit war endgültig und abgeschlossen. In den sechzi-

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