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Kein Antitheater

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Wer von den hochgepriesenen, teils „kritischen“ teils „kollektiven“ Theatermachern vermag noch eine Szene zu schreiben, einen Aktschluß zu bauen, eine Handlung, die bereits abgelaufen zu sein scheint, noch einmal umzustülpen —? Fritz Hochwälder kann das. Jedes seiner Theaterstücke folgt dem Goldenen Schnitt: fünf Akte bis „Hotel du Commerce“, drei Akte seit dem „Meier Helmbrecht“. Jedes Drama folgt den hergebrachten Regeln und durchbricht alle Regeln des Hergebrachten. Keines, an dem nicht Kritiker zu nörgeln hatten und keines, das vom Publikum nicht bejubelt wurde.

Zwei Bände sind soeben im Styria-Verlag erschienen; der erste beginnt mit jener beachtenswerten, aber nie aufgeführten „Esther“, die das Thema anschlägt, und reicht bis zum „Öffentlichen Ankläger“, dieser zur äußersten Dichte verdichteten Dichtung, die Hochwälder ein für allemal den Platz in der Literaturgeschichte sichert. Der zweite Band umfaßt die späteren Dramen von „Donadieu“ bis zum „Befehl“. Macht man sich — und man sollte es tun — über dieses bisher vorliegende Gesamtwerk, das den Leser von Seite zu Seite mit sich reißt, dann erweist es sich, daß es Fritz Hochwälder in vielfältigen Variationen um die Bewältigung eines einzigen Themas geht. Um die Beantwortung der Frage nach Terror und Gewalt, nach dem Ausnahmezustand mittlerer Naturen beim Vollzug unmenschlicher Befehle. Wie ist das möglich?

Wie kommt es dazu? Wo ist Schuld, wo Unschuld?

Das Unglück wollte es, daß der einzige Lapsus, der Fritz Hochwälder bei diesem seinem verzweifelten Suchen nach einer Antwort unterlief, die Komödie „Der Himbeerpflücker“, fürs erste im österreichischen Fernsehen produziert wurde und somit für eine große und unkritische Masse von Zusehern den Namen des Autors mit einer Sache verband, die nicht gut war. Denn hier, im „Himbeerpflücker“, ging der Wahrheits- und Gerechtigkeitssucher Hochwälder an Wahrheit und Gerechtigkeit vorbei. Der Ansatz war falsch. Ein österreichisches Provinznest, das ausschließlich von stumpfsinnig fanatisierten Nazis bevölkert war und ist — das gab und gibt es schlichtweg nicht. Nicht einmal in Kärnten und im hintersten Innviertel. Wer immer in jenen Tagen dem österreichischen Widerstand angehörte, und nicht nur der „Endesgefertigte“, vermag zu bezeugen, daß man, allem äußeren Anschein zum Trotz und unter Einhaltung gebotener Vorsicht, in einem solchen Provinznest mit durchaus verläßlichen „Anlaufstellen“ rechnen durfte. Da gab es den aus Dachau zurückgekehrten, wie ein Aussätziger gemiedenen einstigen Funktionär der „Vaterländischen Front“; da waren der Mesner und eine Handvoll von Kerzenweiblein, die sich über die plakatierten großdeutschen Loyalitätsbeteuerungen der österreichischen Bischöfe grün und blau geärgert und alle gewundenen Entschuldigungsversuche des Pfarrers in den Wind geschlagen hatten; da war die Heimwehr-Baronin aus dem nahen Schloß, die ihrer ironischen Anspielungen wegen unentwegt denunziert wurde und dennoch unbeirrbar den Hitlergruß verweigerte; da war der zumindest eine grundanständige Sozi, der des Genossen Renners Aufforderung, für den Anschluß mit „Ja“ zu stimmen, nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Und da waren viele andere mehr. Es gab ihrer in Österreich wahrhaftig nicht weniger als in irgendeinem anderen von Hitler besetzten Land.

Nach der Sintflut freilich hatten nicht wenige von ihnen sich mit der Tatsache abzufinden, daß sie den Rest ihres Lebens Tür an Tür mit den Kerkermeistern, Schlächtern und Denunzianten von einst zu verbringen hatten und das war, geschichtlich betrachet, weder einzigartig noch neu. Nach der Französischen Revolution erging es den Nachkommen der Opfer nicht anders und heute, noch nicht einmal 200 Jahre später, müssen sich die Ururenkel belehren lassen, daß die Ermordeten schuldig waren und nicht die Mörder. So geht das eben. Keiner wird darüber staunen, es sei denn, er hätte sich einreden lassen, der Mensch sei, sofern des Zwanges ledig, gut und weise.

Daß dem nicht so ist, darunter leidet Fritz Hochwälder. Vermöchte er die Tatsachen zu bewältigen wie irgendeiner — sein schöpferischer Impetus würde wahrscheinlich versiegen und dies wäre ein Unglück für die deutschsprachige Bühne. Denn wo fände sich so bald einer, der, wie er, imstande wäre, dem Theater zu geben, was des Theaters ist?

DRAMEN: Von Fritz Hoch w aide r. 2 Bände. Verlag Styria, Graz, 1975. 328 und 336 Seiten.

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