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Leporello oder Der Dichter als Diener

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„Unterhalten wollte ich immer. Ich fühle mich dem Zirkus näher als dem Theater." Hochwälder war im April 1985 nach Rauns gekommen, um bei den .Literaturtagen" der szenischen Lese-Uraufführung seines Stückes „Der verschwundene Mond" beizuwohnen. Ein massiger Schädel, eine gedrungene Gestalt - erst wenn er aufstand, merkte man, daß er ein „Sitzriese" war. Seine markante Stimme, oft überlaut, beherrschte das Gespräch. Man hätte vom Autor des „Heiligen Experiments", das dem einstigen Wiener Tapezierermeister Reclam-Ehren gebracht hatte, eigent-lich andere Gedanken erwartet. Schließlich trat in dem jüngsten Stück die personifizierte Dichtkunst auf, für die ihm der verschollene Salzburger Dichter Jakob Haringer Modell gestanden hatte. „Vergessen Sie alles, was Sie von meinen Stücken kennen", hatte er gesagt, und die Bemerkung der Lektorin, daß er „nach so vielen großen Themen der Weltgeschichte..., doch die reine Poesie für das Wichtigste halte...", hatte ihn besonders gefreut.

Im vorangegangenen Jahrzehnt waren nur wenige Stücke des Autors gespielt worden. Unmittelbar nach dem Krieg hatte „Das Heilige Experiment" Wien erschüttert. Dann folgten in Österreich Uraufführungen in dichter Folge: „Meier Helmbrecht" 1947, „Donadieu" 1953, „Die Herberge" 1957, „Der Unschuldige" 1958, „Donnerstag" 1959, „Tausendunddrei" 1964, „Der Himbeerpflücker" 1965 im Femsehen„J3er Befehl" 1968 und - etwas später - „Lazaretti oder Der Säbeltiger" 1975. Dann brach die Serie ab. 1984 muß der Autor Styria-Chef Hanns Sassmann, der ihn in Form einer zunächst zweibändigen, später (1979) um einen dritten Band erwei-

terten Dramenausgabe heimgeholt hatte, bitten, das Erscheinen des vierten und letzten Bandes nicht bis zum April des Jahres 1985 zu verschieben: „Dieser späte Termin würde mich sehr schmerzen, denn leider ist es so, daß ich das deutschsprachige Publikum nahezu ausschließlich über die Lektüre, also nur über das Buch erreichen kann."

Hochwälder hat seine Herkunft von der Altwiener Vorstadtbühne niemals geleugnet. Nicht einmal als „Schriftsteller" wollte er recht gelten: „... mit Vergnügen bleibe ich Analphabet, um auf meine Weise Stücke auf die Bretter zu stellen - unliterarisch, unprätentiös, volkstümlich." Zirkus und Unterhaltung sind ernste Angelegenhei-

ten, die Professionalität erfordern. Wie aber passen derlei Aussagen mit der „mastery of traditio-nal dramatic techni-ques" (Enc. of World Literature) zusammen, die ihn immer wieder nach den aristotelischen Regeln kunstvoll seine Stük-ke bauen läßt?

Ungedruckt existiert ein „Dramatischer Jux", dessen dritten Akt der Dichter nicht mehr vollenden konnte. Einige handschriftliche Notizen, wild durcheinander, fast wie ein Schlachtfeld anzusehen, liegen vor. - Es war das letzte Mal, daß ich ihn sah. Er machte im August 1986 in Fürberg nahe St. Gilgen Urlaub, wenige Monate später, im Oktober, sollte er sterben. Auf mein Drängen waren außer den, JDramen" auch die „Autobiographischen Skizzen und Essays" unter dem Titel „Im Wechsel der Zeit" (1980) erschienen - in Ermangelung einer echten Autobiographie, zu der er sich partout nicht bewegen lassen wollte: „Das überlaß ich besser den Schauspielern, die schreiben gern Memoiren. Ich schreib nix. Ich bin kein Filmstar." Wie sollte es nun editorisch weitergehen? - In Fürberg war er trotz seiner labilen Gesundheit mit Feuereifer am Projektieren, und mit dem Können eines professionellen Alleinunterhalters, der wie Proteus in die verschiedenen Rollen zu schlüpfen vermag, trug er die Handlung vor. „Professor Hochwälder arbeitet jetzt",

lese ich in der Gedächtnisnotiz zu dieser Begegnung im Salzkammergut, an einem neuen Stück „Leporello sucht einen besseren Herrn". Das Stück beginnt nach dem Tod Don Giovannis, Leporello kommt in die Gastwirtschaft und erzählt, auf der Suche nach einem neuen Herrn, sein bisheriges Schicksal. Er ist froh, daß diesen der Teufel geholt hat. Da err reicht ihn das Angebot eines venezianischen Librettisten, der ihn in seinen Dienst nehmen will. Im Rahmen dieses Dienstverhältnisses wird die Entstehung eines Librettos von da Ponte geschildert, das Hochwälder in der Nationalbibliothek oder in der Alber-

tina gefunden hat. Aber auch der neue Dienstgeber stirbt und hinterläßt Leporello ein stattliches Vermögen. Er selbst kann nun Herr sein. Als er seine frühere Mitbedienstete (Angelina?) auffordert, zum Abendessen bei ihm Platz zu nehmen, zieht diese sich in die Küche zurück. Leporello ist nun Herr, aber einsam.„Es sollen nurmehr wenige Seiten für die Vollendung des neuen Stückes fehlen. Professor Hochwälder wünscht, daß dieses dramma giocoso nicht in der Type der bisherigen gesammelten Werke erscheint, sondern größer aufgemacht, fest gebunden wie der ,Garten des Paracel-sus' von Max Meli. Eventuell illustriert (sein Wunsch wäre Hans Fro-nius)."

Hochwälder identifizierte sich mit dem Diener Leporello. Der Dichter als Diener- liegt hierein Wesenszug? Man kann sich Fritz Hochwäldernicht als Autor im strengen Sinn des Wor-

tes, als Schöpfergott seiner Figuren, vorstellen. Er war nicht der Meister, der die Marionetten tanzen läßt, nicht der Allwissende von Beginn an. Lang zauderte er oft, bis er eine Figur weiterführte, manchmal wurde noch im Umbruch geändert. Das Leben in seinen verschiedenen Formen, Maskierungen, Entfaltungen zog ihn an, und er wußte, daß man sich ihm nicht als Herr nähern kann. Für den Diener freilich bekommt das Wort vom „Zirkus", dem er sich näher fühlt als dem Theater, einen guten Sinn.

„Malträtier mich mit Belieben", läßt Hochwälder seinen Leporello am Schluß des Stückes ausrufen, und er wußte ja, was malträtieren bedeutete. Am 18. August 1938 hatte er - fassungslos! - wegen seiner jüdischen Herkunft Österreich verlassen und in der Schweiz Zuflucht suchen müssen. Den Alten Rhein hatte er mit dem Bündel am Kopf durchwatet, und was folgte, war auch nicht leicht.

Aber mochte dieses Leben auch Verachtung, Heimatverlust, Arbeitslosigkeit, schlimmer: Arbeitsverbot, Not und die stets anwesende Angst vor dem Mißerfolg bedeuten - nur keine Distanz, nur nicht herausfallen aus dem lebendigen Leben! „Malträtier mich mit Belieben!" und er fährt fort: „... es war doch so schön...", dann in einer neuen Zeile: „Hoch! (?), sekkier, malträtier mich - es war doch so schön!" (unterstrichen). Und wieder in neuer Zeile, kleiner, kaum mehr lesbar:,Alles... alles... ja schön!..."

Nachdenklich lege ich die Fotokopie aus der Hand, und wie ein Echo klingen mir die ähnlichen Worte eines anderen Dieners, des Lynkeus, „aus tiefer Nacht", voll Lebensdurst ans Ohr: „Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehen, es sei wie es wolle, es war doch so schön." Die hier gezogene Verbindung mag manchem vage, sie wird dem nicht abseitig erscheinen, der Hochwälder begegnet ist.

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