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Weder Anklage noch Entschuldigung

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In breiten Kreisen besteht heute die Neigung, von den Greueln des zweiten Weltkrieges, denen man sich nicht widersetat hat. nichts mehr wissen zu wollen. Kann aber einer, der damals einen Mord beging, dies im Erinnern verdrängen?

Der Wiener Polizeioberinspektor Mittermayer wird in dem Stück „Der Befehl” von Fritz Hochwälder, das in deir nunmehrigen Bühnenfassung des vormaligen Fernsehspiels dm Burgtheater zur Uraufführung gelangte, beauftragt, nach einem einstigen Kollegen von der Feldpolized zu fahnden, der im November 1942 in Amsterdam ein Mädchen, das er lediglich verhaften sollte, ermordete als es vor ihm flüchtete. Er selbst war der Mörder, aber auf Befehl verdrängte er die Untat, und nun ist er unsicher, ob er tatsächlich der Gesuchte ist.

Als der Eurovisionsfilm „Der Befehl” vom Zweiten Deutschen Fernsehen abgesetzt wurde, begründete man dies damit, daß die „Selbstreinigung” des Polizeioberinspektors der Glaubwürdigkeit entbehre. Gerade sie überzeugt in der Bühnenfassung, denn Mittermayer beging zwar verabscheuenswerte Brutalitäten, aber er war kein Massenmörder. Die be sonderen Verhältnisse der NS-Zeit ließen ihn zum Verbrecher werden, daher ist die nunmehrige Gewissensregung glaubhaft. Daß er aber bei dieser Veranlagung den Mord verdrängt haben sollte, wodurch das abendfüllende Stück erst möglich wird, wirkt reichlich unglaubhaft. Die Szene mit dem Psychiater behebt den Einwand nicht.

Es ist bezeichnend, daß Hochwälder einen Mittermayer zur Hauptgestalt seines Stückes macht, nicht einen der NS-Maissenmörder, sondern einen Durchschnittsmenschen ohne verbrecherische Anlagen. Er versucht ihn zu verstehen, indem er den Rayonsinspektor Dwomik am Schluß sagen läßt, es sei kein Verdienst, daß er, Dwomik, in einer Zeit „außer Rand und Band” nicht zum Verbrecher wurde, denn wer könne jederzeit die Hand für sich ins Feuer legen? Das ist weder Anklage noch Entschuldigung. Aber ein Abgrund tut sich auf: Hochwälder zeigt die Anfälligkeit der Menschen für Verbrechen in außerordentlichen Situationen. Nur mit Erschütterung wird man sidh dessen bewußt.

In ruhiger Szenenführung baut Hochwälder mit schlichten Mitteln die Geschehnisfolge auf. Die einzelnen Figuren sind vortrefflich charakterisiert. Den Naturalismus des Stückes versucht Kurt Meisel als Regisseur szenisch etwas zu ver fremden. Er läßt die Drehbühne, auf der Lois Egg die zahlreichen Schauplätze rings um ein hohes Gerüst anordnete, bei jedem Szenenwechsel im Dämmerlicht einige Zeit rotieren, wobei eine Art Pratermusik von Alexander Steinbrecher mitunter in bedrohlich wirkende Rhythmen übergeht. Schauspielerisch ergibt sich eine vorzügliche Wiedergabe mit markanten Leistungen von Erich Auer als Mittermayer, von Lisi Kinast als dessen Frau, von Josef Krastel, Helmut Janatsch und Erich Aberle als Polizeibeamte, von Hanns Obonja als ehemaliger SD-Major und nunmehriger Möbelfabrikant, von Stefan Skodier als Heurigenwirt und einstiger Feldpolizist, wie auch der übrigen Darsteller.

Das Stück „Der Sohn” von Gert Hofmann, das vom Volkstheater an den Wiener Außenbezirken dargeboten wird, stellt einen Seelenbereich dar, der vom Zuschauer kaum nocn nachfühlbar ist. Eine Mutter wartet sieben Jahre lang sozusagen Tag für Tag auf die Rückkehr ihres im letzten Krieg als gefallen gemeldeten Sohnes. Sie glaubt nicht an dessen Tod. Als sie nun am Bahnhof einen Heimkehrer sieht, redet sie _ sicn wieder alle gegenteiligen Anzeichen ein er sei es, nimmt ihn bei sich auf, doch der „Sohn” entpuppt sich als brutal-egoistischer Tumohtgut, der sie verläßt, nachdem er sie ausgeplündert hat. Jetzt kommt der wirkliche Sohn, sie aber verbarrikadiert vor ihm die Tür. Mag das Schicksal dieser Frau bedauernswert sein, es läßt uns dennoch kalt, ihre Mutterliebe ist bereits ein Fall Buden Psychiater, ein allerdings harmloser. Angewandte Psychiatrie eignet sich aber in Hauptgestalten nicht für die Bühne. Vorzügliches Spiel von Elisabeth Epp und Wolfgang Hübsch unter der Regie von Ench Winterstein.

Die Zweipersonenkomodie „ttmaer fallen nach oben” von Horst Fitzthum, die das Kleine Theater der Josef stadt zur Uraufführung brachte, ist dadurch bemerkenswert, daß eine Situation dargeboten wird, die krassen Sex nahelegt, aber davon völlig frei bleibt. Und dies bei einem jungen Autor. Da rückt eine neunzehnjährige Malstudentin einem nur wenig älteren Journalisten auf die Bude, nistet sich zu seinem Mißvergnügen bei ihm ein, bleibt aber jeder Annäherung abhold. Erst am Schluß verreisen sie zusammen. Es ergibt sich ein liebenswürdiger, unbeschwerter Dialog, der immer wieder zu amüsieren vermag. Fitzthum hat Talent für szenisches Federgewicht. Allerdings stört Unwahrscheinliches und einiger Krampf, mit der mit leichter Hand geführten Regie von Friedrich Kallina bieten Marianne Nentwich und Albert Rueprecht eine reizvolle Wiedergabe.

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