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Das Faszinierende an dem Zeitstück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“, dessen Quelle die 3000 Protokollseiten des Unter-sucfaungsverfahrens der amerikanischen Atomenergiekommission gegen den „Vater der Atombombe“ bildet, liegt im Thema, in der Erwartung, hinter die neue und unheimliche Verflechtung von Moral, Verantwortung und Politik zu kommen. Der Autor Heinar Kipphardt rekonstruiert in seinem szenischen Bericht drei Stunden lang die Untersuchung, die im April/Mai 1954 gegen den Atomphysiker Oppenheimer in Washington geführt wurde, weil man ihn für ein „Sicherheitsrjliko“, auf schlicht deutsch: für einen sowjetischen Spion hielt. Kipßhardts Sichtung und Ausdeutung der historischen Tatsachen ist vielschichtiger und differenzierter als die bliherigen dramatischen Versuche, die dem bidrängendsten Problem der Gegenwart galten. Die Physiker, das will Kipphardt deutlichmachen, haben sich als Funktionäre der Machtmaschinerie entdeckt; ihre schöpferischen Akte bedeuten Triumph der Wissenschaft und Bedrohung der Menschheit in einem, denn das „Gleichgewicht des Schrecken“ ist eine Funktion in einem Mechanismus, der jäh außer Kontrolle gelangen kann. Dabei gerät die Frage nach der Schuld in ein merkwürdiges Zwielicht: sie ist nicht mehr nach den herkömmlichen Maßstäben zu messen, die klar zwischen Gut und Böse unterscheiden. Oppenheimer selbst hat für das Dilemma der Wissenschaft eigene Worte gefunden: „Jedenfalls haben in einem sehr allgemeinen und zugleich sehr besonderen Sinn, den keine Kaltschnäuzigkeit, kein Humor, keine großen Worte zu übertünchen vermögen, die Physiker erfahren, was Sünde heißt, und diese Erfahrung ist unverlierbar.“ Was in diesem Prozeß schließlich bloßgestellt wird, ist nicht der Mann namens Oppenheimer, sondern das „Tribunal“, die moderne Inquisition. Der Staat bedient sich skrupellos eines Wissenschaftlers, solange dieser keine Skrupel äußert. Kommen dem Wissenschaftler sittliche Bedenken, gerät er in Konflikt mit einem Staat, der skrupellos die Konflikte verurteilt, die er selbst hervorgerufen hat.

Kipphardts szenischer Bericht ist trotz wirkungsvoll akzentuierten Aktschlüssen kein Theaterstück geworden, sondern bleibt Exzerpt, „Bericht, frei nach Dokumenten“. Die beklemmende Spannung dieses Prozesses, welche die Aufmerksamkeit des Publikums voll beansprucht, geht denn auch weit mehr von dem auf Tatsachen fußenden Verhör aus, weniger von den „Zutaten“ des Autors, wie etwa die Monologe, in denen sich die einzelnen Gestalten vorn an der Rampe dem Publikum gegenüber zu rechtfertigen versuchen. Leon Epp brachte im Volkstheater eine wirkungsvolle Inszenierung zustande. Geschickt ließ er einige dramaturgische Schwächen, wie etwa eine gewisse Schwarz-Weiß-Zeichnung mancher Nebenfiguren oder die überwiegende Passivität der auf der Bühne Anwesenden während des Verhörs u. a., überspielen. Ernst Meister beeindruckte in der schwierigen Rolle als Oppenheimer. Vielleicht könnte man sich die Hauptgestalt um eine Spur sensibler, nervöser vorstellen. Gut die Funktionäre: Joseph Hendrichs, Rudolf Strobl als Anwälte, wirkungsvoller schon vom Text her Hon* Krassnitzer und Albert Rolant als Ankittger, Die Mitglieder des Sicher-heitsausschusses stellten: Hans Hais, Hans Rüdgers, Otto Ambros, dieser in der Rolle eines schrulligen Chemikers doch ein wenig zu betulich. Herbert Prodinjer, Louis Soldan zeigten alle Beschränktheit der „Eih-gleisigen“ unter den Zeugen. Herbert Prahlt, Oskar Wlllner wirkten sympathisch in ihrer Stellungnahme für den Beschuldigten. Ausgezeichnet Aladar Kunrad als genialer, fanatischer Gegenspieler und Physiker Edward Teller. Heinrich Trlmbur lieferte als Physiker Rabi etwas wie eine heitere, kabarettistische Einlage. Der Publikumserfolg des stofflich hochaktuellen Stuckes war eindeutig.

Seltsam, wie in dem dramatischen Erstling „Iwanow“ von Anton Tschechow noch die Ausweglosigkeit alles Tuns dominiert. In seinen späteren Dramen ist bei aller Schwermütigkeit immer ein heimlicher, dumpfer Ruf, die Sehnsucht nach einem neuen Leben vernehmbar, zu dem die Personen in seinen Stücken immerzu aufbrechen, auch wenn sie es niemals anfangen. Iwanow, der junge Gutsbesitzer in einem Flecken Mittelrußlands um 1880, ist dagegen schon zu Beginn lebensüberdrüssig. „Mit dumpfem Schädel und müder Seele, welk, gebrochen und kraftlos, ohne Glauben, ohne Liebe, ohne Ziel, schleiche ich wie ein Schatten zwischen den Menschen umher...“ Der Konflikt ergibt sich zwischen seiner todkranken Frau, einer Jüdin, die er um des Geldes willen geheiratet hat und die er nicht mehr liebt, und einem jungen Wesen, mit dem er ein neues Leben beginnen könnte. Iwanow sieht jedoch die Unmöglichkeit ein und begeht Selbstmord. Noch sind die Gestalten unscharf umrissen, die Charakterisierung eher flüchtig und stereotyp, das Milieu all dieser verfehlten, verschlagenen, vernutzten Gestalten mehr zu erahnen. Noch ist es ein früher Tschechow, ohne den unnachahmlichen Ton URd die Atmosphäre seiner späteren. Reife.

Dem Studio des Burgtheattrs im Akademietheater gelang unter dar Regie von Achim Benning — berücksichtigt man noch die Schwierigkeiten, die ihm entgegenstanden — eine beachtliche Leistung. Zwei Darsteller ragen besonders hervor: Alexander Trojan als von aller leidenschaftlichen Verzweiflung getriebener Iwanow und Eva Zilcher als die leidende, duldend Frau. Uberzeugend auch Inge Brücklmeier als Sascha und Heint Woester ali lebenshungriger, zynischer Graf. Manfred Inger, Lilly Stepanek, Achim Benning, Otto Kery, Peter P. Jost füllen die größeren oder kleineren Episodenrollen gut aus. Es gab vieles, was Beifall Verdiente und fand.

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