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Sprechen in Kurz-und Leerformeln

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Vielfach besteht das Bestreben, viel Aussage auf kleinstem Raum auszudrücken. Das Ergebnis: In der Werbung, in der Schlagzeile wird das Wort zum Klischee.

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Vielfach besteht das Bestreben, viel Aussage auf kleinstem Raum auszudrücken. Das Ergebnis: In der Werbung, in der Schlagzeile wird das Wort zum Klischee.

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Mit der unaufhaltsamen Technisierung der Welt gerät auch die Sprache zunehmend in den Sog des Schablonenhaften, was schon in ihrem täglichen Gebrauch zum Ausdruck kommt: Neue Sprachmoden haben von uns Besitz er-

griffen, die ganz im Zeichen der ökonomisierung und Automatisierung stehen und wo letzten Endes das „Schlagwort" dominiert, nicht nur im Öffentlichkeitsbereich.

Was wird schon im Alltagsgespräch alles reproduziert an Abkürzungen, an kommunikativen Kurzformeln, wie „o. k.", und an regelrechten Wortstummeln: der „Frust" für das „Frustriertsein", „Profis" und „Fans", was nicht „ident" ist, „Emanzen" u. s. f. Der „Leiden der jungen Wörter" ist schier kein Ende!

Dabei gelten sie meist als „Modewörter", auf die man eigentlich stolz sein müßte, zumal einige davon (z. B. „sensibilisieren) sich aus der wissenschaftlichen Terminologie herleiten.

Andere freilich wurden künstlich gemacht, wie etwa jene Suggestivformeln der Werbesprache, bei denen zwei verschiedene Begriffe so aneinandergekoppelt werden, daß sie einer Umdefiniti-on erliegen (man vergleiche: „atmungsaktiv" r; luftdurchlässig).

Hier stellt sich die Frage: Wird die modische und oft verformte Sprache unserer Tage ihrer ursprünglichen Funktion als Medium der Kommunikation und Welterfassung mit dem Umsichgreifen der Wortschablone bzw. des Schlagwortes schon so eingeengt, daß wir davon buchstäblich „erschlagen" werden?

Geht man mit Humboldt davon aus, daß Sprache primär Ausdrucksform der Persönlichkeit ist, so scheinen die jetzigen Sprachmoden eher den umgekehrten Weg zu weisen — in Richtung auf eine allgemeine Verflachung der Sprachkultur, wo sich das Abgedroschene und Klischeehafte, das Verschwommene und Gedankenlose gegenseitig die Waage halten.

Was Anlaß zu größter Sorge gibt — zu Sorge um unser Denken, um unsere geistige Lebensfähigkeit —, das ist der Verlust der Anschaulichkeit, wie vor kurzem Herbert Eisenreich bemerkte. Und man könnte noch ergänzen:

der Schwund von Phantasie und Logik.

Je mehr das „öffentliche Geschwätz" um sich greift, umso mehr verkümmert das sprachlogische Denken des Menschen. Der eigentliche Unfug mit dem Modewort beginnt in dem Moment, wo es unreflektiert übernommen wird. Das gilt vor allem von Fremdwörtern, wie „kreativ", „antiautoritär", „revolutionär", die allein dadurch verführerisch wirken, daß sie einen magischen Klang haben.

Werden solche Wörter aber ganz bewußt verwendet — aus Gründen eines gewissen Impo-

niergehabens oder auch nur aus bloßem Snobismus -, um über den Mangel an echter Aussage hinwegzutäuschen, dann ist die Sprache auf dem besten Weg, zum Jargon zu werden.

Und hier müßte eine humane Spracherziehung einsetzen. Anstatt uns von den Wörtern oberflächlich berieseln zu lassen, müssen wir wieder lernen, ihren tieferen Sinn zu „hinterfragen", um das zu durchschauen, was durch sie verdeckt oder verschleiert werden soll, was sie an Sinnwidrigem ausdrücken, oder was sonst noch dahintersteckt.

Ein erster Schritt in diese Richtung könnte die Beschäftigung mit der konventionellen Terminologie des sozio-politischen Bereiches sein: So heißt es nach der offiziellen Sprachregelung „Kernkraft" und nicht Atomkraft,

„Freisetzung von Arbeitskräften" statt Entlassung, „Fristenlösung" statt Abtreibung etc.

Anhand solcher Beispiele läßt sich der Einfluß der Sprache auf die allgemeine Bewußtseinsbildung unschwer erkennen, und damit scheint auch die Möglichkeit bestätigt, durch sprachliche Veränderung eine Veränderung des Menschen (auch der kommenden Generation) herbeizuführen: Welche Chance für die Pädagogik, aber auch welche Herausforderung!

Damit soll keinem Sprachpurismus das Wort geredet werden, jedoch einem Sprachethos — angesichts der Tatsache, daß wir in einer von Technik und Werbung geprägten Welt ständig dazu verleitet werden, die normativen Elemente des Gleichen und Konventionellen zu akzeptieren, auch wenn das Menschliche dabei zu kurz kommt.

Soll Sprache wirklich das sein, was nach Herder erst „den Menschen zum Menschen macht", dann folge man dem Rat Romano Guardinis, der dreierlei empfiehlt: das einfache Sprechen („denn die Einfachheit widerstrebt der Zerstörung"), die Redlichkeit des Wahrheitswillens, aus der allein das „echte Wort" entsteht, und eine Neubesinnung auf die Tiefendimension des Wortes als Quelle der Wahrheit und des Heils.

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