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Streitfall Ersatzdienst

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Anläßlich einer der letzten Sitzungen des Europäischen Parlamentes in Straßburg wurde ein Vom Rechtsausschuß vorgelegter Entschließungsantrag zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen angenommen. Darin werden die Regierungen und Parlamente der zehn EG- Mitgliedsstaaten aufgefordert, „die bei ihnen bestehenden Regelungen auf diesem Gebiet zu überprüfen.“ i

Es sei nämlich notwendig, „die Rechtsvorschriften der EG-Mit- gliedsstaaten im Bereich des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung, der Rechtsstellung des

Kriegsdienstverweigerers, der hierbei anzuwendenden Verfahren und des Ersatzdienstes einander anzunähern.“ Das Parlament sagt auch allen Anstrengungen seine Unterstützung zu, die darauf abzielen, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausdrücklich in die Europäische Menschenrechtskonvention aufzunehmen.

Ein dornenreiches Problem, ohne Zweifel, das die einzelnen Staaten bisher jeder auf seine Art zu lösen versucht oder auch nicht versucht haben, weil sie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in unterschiedlicher Weise anerken nen oder auch nicht anerkennen. In einer detaillierten Anlage zum Bericht über den Entschließungsantrag werden diese Unterschiede dargelegt; sie sind manchmal nicht unerheblich.

So gibt es bekanntlich Staaten ohne Wehrpflicht, wie etwa Großbritannien, Irland oder Luxemburg, für die sich das Problem überhaupt nicht oder doch nur in Form der Frage stellt, ob ein freiwillig in der Armee Dienender seinen Dienstvertrag vorzeitig aufkünden kann.

Wo hingegen Wehrpflicht besteht, ist sie von unterschiedlicher Dauer (neun Monate in Dänemark, 26 Monate in Griechenland). Wo in diesen Staaten die Wehrdienstverweigerung unter gewissen Bedingungen anerkannt wird, ist auch der angebotene Ersatzdienst von unterschiedlicher Art und Dauer:

So ist etwa in Portugal, bei 18monatigem Wehrdienst, überhaupt kein Ersatzdienst vorgesehen, weder innerhalb noch außerhalb der Armee; in Dänemark dauert der Ersatzdienst nur zwei Monate länger (elf statt neun) als der verweigerte Wehrdienst, in der Bundesrepublik sogar nur ei nen Monat (16 statt 15); in Italien steigt die Zahl von zwölf auf 20, in den Niederlanden von 14 auf 18 Monate; in Frankreich wird die Portion verdoppelt, von zwölf auf 24 Monate; in Spanien zahlt der Wehrdienstverweigerer sogar 36 Monate Ersatzdienst für 15 Monate normalen Wehrdienst.

In Griechenland können die 26 Monate Dienst mit der Waffe durch 48 Monate waffenlosen Dienst ausschließlich innerhalb der Armee abgegolten werden (wobei lediglich religiöse Gründe akzeptiert werden), während in den übrigen Ländern auch ein ziviler Ersatzdienst angeboten wird.

In manchen Ländern scheint somit das Recht auf Wehrdienstverweigerung, obschon gesetzlich verankert, doch nur mit Widerwillen anerkannt und der Wehrdienstverweigerer für die Inanspruchnahme dieses ihm zugestandenen Rechtes bestraft zu werden. Dagegen lehnt -sich die Entschließung des Europäischen Parlaments auf, indem sie betont, „daß die Ableistung eines Ersatzdienstes … nicht als Bestrafung angesehen werden darf, sondern unter Wahrung der Menschen würde des Betroffenen sowie im Dienste des allgemeinen Wohls vorrangig im sozialen Bereich erfolgen sollte“.

Hinsichtlich der Dauer dieses Ersatzdienstes besagt die Entschließung, daß sie, „wenn er in einer zivilen Behörde oder Organisation abgeleistet wird, die Dauer des normalen Wehrdienstes, einschließlich der militärischen Übungen nach der militärischen Grundausbildung, nicht überschreiten dürfte“.

Die Unterschiede von Staat zu Staat liegen aber nicht allein in Art und Dauer des Ersatzdienstes. Sie beginnen schon vorher, bei der Frage der Herleitung des Rechts auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen.

Zwar bestreitet niemand den in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesprochenen Grundsatz: „Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“. Daß daraus ein Recht auf Wehrdienstverweigerühg herzuleiten sei, ist jedoch keineswegs allgemeine Überzeugung.

Daß die meisten Staaten zu einer klaren und konsequenten Anerkennung des Rechtes auf

Kriegsdienstverweigerung nur höchst ungern bereit sind, zeigt sich schon daran, daß sie im Einzelfall die Anerkennung dieses Rechts oft erschweren und (mit Ausnahme von Belgien und der BRD) die Information der Wehrpflichtigen auf diesem Gebiet hintertreiben. So wurde etwa „in das französische Gesetz eine Klausel aufgenommen, die die Propaganda untersagt, die andere dazu anstiften soll, sich der Wehrpflicht zu entziehen; dadurch wird eine Unterrichtung der Bürger über ihre Rechte fast unmöglich.“

Manche Staaten pflegen auch die Antragsteller einer „Gewissensprüfung“ zu unterziehen. Die Entschließung verwirft solche Praktiken, indem sie feststellt, „daß kein Gericht oder Ausschuß in der Lage ist, das Gewissen des einzelnen zu überprüfen, und daß eine individuell begründete Erklärung in den allermeisten Fällen für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ausreichen muß“.

Durch diese Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Februar 1983 wurde das heikle Problem der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen wieder einmal aktualisiert. Ob und in welchem Maß es einer allseits befriedigenden Lösung näher gekommen ist, muß die Zukunft erweisen!

Die allerbeste Lösung wäre freilich auch die allereinfachste: den Krieg abschaffen!

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