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Theologie: Um die Schönheit des Menschen

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Der Kanon 1366 des kirchlichen Rechtsbuches schreibt vor: Die Studien der Philosophie und Theologie sollen „ad Angelici Doctoris rationem, doctrinam et principia“ durchgeführt werden - sie sollen der Art und Weise, der Lehre und den Grundsätzen des hl. Thomas folgen.

Worin aber besteht seine theologische Methode? Sie zeigt sich in jedem Artikel seiner „Summa“:

Thomas nimmt die Fragen wahr, die das Leben bringt. Er nimmt die Zweifel in sich hinein und formuliert sie - die Zweifel, die in ihm sind, wie die Zweifel, die andere haben. Er spielt damit nicht ein intellektuelles Glasperlenspiel, er wischt sie nicht in snobistischem Agnostizismus vom Tisch, sondern er stellt sich den Fragen und Zweifeln in einem „sed contra“, in dem er demütig auf die Autorität hört, also auf das, was ein „auge-re“ bringen kann, auf ein Wort, das etwas hergibt.

Autorität besitzen für ihn die Bibel, die Tradition, aber auch die großen Philosophen des vorchristlichen Denkens wie Aristoteles oder die christlichen Theologen wie Augustinus. Er sucht .keine modische Antwort für den Augenblick, sondern er gibt in seiner conclusio einen schlichten Satz, den jeder versteht und an den man sich halten kann.

Er erdrückt nicht mit Autorität den Zweifel, sondern er gibt Antwort aus ethischer Verpflichtung: respondeo dicendum - Es muß gesagt werden. Im „corpus articuli“ geht er gewis1-senhaft die Zweifel durch, vorsichtig, unterscheidend, ehrlich, das sagend, was zu sagen ist, und das offenlassend, was er nicht weiß.

Das ist noch heute die klassische Form der Theologie. Die Form, auf die wir nicht nur durch Thomas und das Kirchenrecht, sondern durch die innere Gesetzmäßigkeit der Theologie verpflichtet sind. Theologie ist ein Gespräch mit sich selbst, mit Gefährten im Glauben, mit Gegnern und Zweiflern. Theologie ist ein Hören auf die Fragen der Zeit, wie sie suchende und ratlose, gequälte und enttäuschte Menschen stellen, wie sie die Dichter und Künstler zum Ausdruck bringen, ein Offenhalten von Fragen, die trotz aller Wissenschaften offenbleiben.

Theologie ist das Ringen um ein respondeo dicendum aus einem größeren, umfassenden Zusammenhang heraus. Nach Thomas ist Theologie der Versuch, die Gedanken Gottes über die Welt und den Menschen nachzudenken und so auch indirekt eine Auskunft über Gott zu erhalten.

Man fragt heute manchmal, ob diese älteste aller Wissenschaften überhaupt eine Wissenschaft sei. Thomas sagt, man müsse unterscheiden: Es gibt eine Wissenschaft, deren Prinzipien mit dem natürlichen Licht des Verstandes abgeleitet werden können, wie etwa die Arithmetik. Es gibt aber auch eine Wissenschaft, deren Prinzipien nur durch das Licht eines höheren Wissens gefunden . werden können.

Als Beispiel führt er an- die Musik, deren Baugesetze der Arithmetik entsprechen, die aber nicht einfach mit Hilfe der Arithmetik allein kon7 struiert werden kann. So vermittle auch die Theologie Perspektiven, die sich nicht durch die anderen Wissenschaften konstruieren lassen, die sich aber, einmal in den Blick genommen, nachträglich als der Vernunft entsprechend und in der Lebenserfahrung als richtig, bereichernd und beglückend erweisen.

In vielen anderen Wissenschaften spielt ja die Erfahrung eine große Rolle. Was sich nicht durch das Experiment verifizieren oder falsifizieren läßt, könne nicht Gegenstand einer Wissenschaft sein, meinen manche. Am Anfang der Theologie aber steht immerhin die „experientia“.

Theologie ist Reflexion über die Erfahrung, die Menschen als Glaubende gemacht haben. Christliche Theologie ist Reflexion über die Erfahrung mit Jesus Christus, dem historischen und dem, der weiterlebt im Dogma, im Gebet, in der Kunst, im Sakrament und in seiner Kirche. Diese Reflexion dient aber gerade dem Zweck, Menschen zu einer ähnlichen Erfahrung zu bringen. In diesem Sinn arbeitet die Theologie nicht nur mit Experimenten, sondern sie ist Experi-Ment: Ein Mittel, das zur Erfahrung führt.

Die theologische Reflexion muß sich von der anderer Wissenschaften auch dadurch unterscheiden, daß sie immer nach der Summa, nach dem Ganzen, dem Kat'holon fragt und daß sie ihre Wissenschaft zur Weisheit führen möchte: Die scientia zur sa-pientia, zu einem .sapera', also zu dem, was schmeckt, was die Sinne anspricht, was schön ist.

Schönheit ist für Thomas der splendor ordinis, das Aufleuchten der Dinge, wenn sie am rechten Platz und also in der Ordnung stehen. Um diese Ordnung der Dinge geht es auch in der Theologie - um die Schönheit des Menschen, der in die rechte Ordnung zu Gott, den Mitmenschen und der Welt gefunden hat. Daher hat Theologie eine innere Affinität zu den Künsten und der Kult eine tiefe Beziehung zu aller Kultur.

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