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Unzeitgemäßes

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Würde... was für ein seltsames Wort! Manchmal muß ich daran denken, welche Fülle von Dingen, Ereignissen, Gefühlen damit verbunden ist, welche unerhörte Kraft sich hinter diesem simplen Begriff verbirgt und wie groß die Verantwortlichkeit von uns allen ist, dieser Würde zu entsprechen Würde des Menschen, Würde der Nation, Würde bewahren, Würde der Frau... Und hier zögert man, wird man

Schleier über etwas gelegt, das dem menschlichen Geschlecht eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Und so ist uns dieser Begriff von der Würde zuerst aus der Sprache und dann auch aus dem Bewußtsein gerutscht. Denn man braucht da wirklich nicht mehr an Terrorismus und Krieg, an landesübliche Parteipolitik und Karrierismus zu denken, um zu begreifen, daß diese Form der Würde unzeitgemäß geworden ist, unmodern vor allem

verunsichert und fragt sich, was dieser Begriff mit den Menschen von heute tatsächlich noch zu tun hat. Kann ein Autofahrer „Würde bewahren“? Haben Feministinnen oder abgearbeitete Hausfrauen und Mütter „Würde“? Uberzeugt uns die „Würde des Hohen Hauses“, von der gelegentlich altgediente Politiker noch schwärmen? Oder handelt es sich hier vielleicht um eine Metapher, die längst schon überholt ist? Stiehlt sich da nicht ein überdrüssiges und besserwisserisches Lächeln auf unser Gesicht, wenn wir dieses Wort nur hören?

Das Zeitalter der Würde ist unwiderruflich vorbei, so scheint es doch! In Würde leben, in Würde sterben, die Würde des Menschen unangetastet lassen: Das alles klingt in unseren allmählich ertaubenden Ohren verdächtig nach falschem Pathos, nach ebenso lächerlicher wie antiquierter Ausdrucksweise. Und doch hat alles, was unsere zivilisatorischen Bemühungen allmählich auf den gegenwärtigen Standard gebracht hatte, nicht nur mit menschlichem Erfindungsgeist, menschlichem Mut und Ehrgeiz, sondern auch mit dieser verlorengegangenen Würde zu tun gehabt!

Denn es war zum Beispiel auch eine Frage der Würde, daß von Christus über Paulus bis herauf zu Franz von Assisi, von Spartacus über Campanella bis herauf zu den Revolutionären des industriellen Zeitalters immer wieder Menschen für eine Idee gelitten und sich dafür auch geopfert haben. Aber heute zu sagen: Schau her, ein würdevoller Mensch! Oder von der Würde des. Rentners oder des Bergbauern zu reden... Das klänge nicht nur anmaßend und lächerlich, sondern fast auch schon wie schlechtes Deutsch. - Warum? . Mit einem Gefühl von Resignation möchte ich mir selber einreden, daß zwar diese abstrakte Menschenwürde immer noch existiert, daß wir aber damit nichts mehr anzufangen wissen. Computer und Mikroprozessoren, Autobahnen und Waschvollautomaten, alle unsere technologischen und moralischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben einen dichten

und beinahe auch nicht mehr schicklich.

Geht das denn heutzutage überhaupt noch: Die Würde des Menschen zu achten? In einer restlos verwalteten Welt und mit einer blindlings dem Konsum verpflichteten Gesellschaft, wo Würde mit dem Kubikinhalt eines Automotors verwechselt werden kann oder griffige Standardsymbole diesen verwischten Begriff ersetzen! Und immer wieder muß man in diesem Zusammenhang feststellen, daß sich da etwas Grundlegendes verändert hat, dessen geheimnisvolle Strategie wir noch nicht durchschaut haben.

Denn während wir bei manchen mediterranen Völkern und arabischen Stämmen diesen Begriff der Würde anstandslos und sogar bewundernd aktzeptieren, unterdrücken, wir bei uns selber nur mühsam Zeichen von Ungeduld und Heiterkeit, wenn diese Würde des Menschen absichtsvoll erwähnt wird. Es gibt zum Beispiel nur noch ganz wenige Politiker oder auch Priester, die es sich erlauben dürfen, die Würde des Menschen in so-zioökonomischen oder ideologischen Zusammenhängen zu erwähnen, ohne daß man ihnen nicht falsches Pathos unterstellte. Und mir fällt im Augenblick so gut wie kein deutschsprachiger Schriftsteller ein - Heinrich Boll vielleicht ausgenommen -, der diese Würde des Menschen mit voller Absicht zum Thema seiner Arbeit gemacht hätte.

Vielleicht könnte man an die Stelle dieses verlorengegangenen Begriffes den der Verantwortung setzen? Oder den der Pflicht? Des Charakters? Und auch weil diese Worte noch nicht so erschreckend viel von ihrer moralischen Bedeutung eingebüßt haben! Aber es geht nicht! Weil es nicht stimmt! Weil Würde durch nichts zu ersetzen ist... auch nicht durch einen Katalog von sprachlichen Maßnahmen, der unseren Verlust an Würde kaschieren soll.

Ich habe Unzeitgemäßes erzählt. Aber es ist nicht meine Schuld. Es ist die Sprache, derer wir uns gedankenlos bedienen, die uns immer wieder entlarvt.

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